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Von – 1. August 2001

Umstrittene Worte

Wenige Fragen haben den Evangelischen Kirchentag im Juni in Frankfurt so bewegt wie die Diskussion um das Abendmahl. Dürfen neue liturgische Elemente den traditionellen Ablauf verändern, dürfen vor allem die Einsetzungsworte geändert, neu interpretiert werden? Die historische Entwicklung gerade dieser Sätze, mit denen seit 2000 Jahren die Erinnerung an Jesus Christus wach gehalten wird, umreißt Angela Standhartinger.

Angela Standhartinger ist Professorin für Neues Testament an der Universität Marburg. Zuvor war sie Vikarin in der Frankfurter Katharinengemeinde.

Wenn heute in der Kirche das Abendmahl gefeiert wird, werden dabei die so genannten Einsetzungsworte gesprochen: „Unser Herr Jesus Christus in der Nacht, da er verraten ward, nahm er das Brot, dankte und brach’s und gab es seinen Jüngern und sprach: Nehmet hin und esset, dies ist mein Leib, der für euch gegeben wird. Solches tut zu meinem Gedächtnis…“ Diese Worte stehen zwar in der Bibel, allerdings nicht am Stück: Sie sind aus verschiedenen Evangelien und einem Paulusbrief zusammengesetzt.

Der Apostel Paulus zitiert die Worte, mit denen Jesus das Abendmahl gedeutet haben soll, um die Abendmahlspraxis der Gemeinde in Korinth zu kritisieren. In Korinth kamen nämlich die reicheren Gemeindeglieder früher zu den Versammlungen und begannen sofort zu essen und zu trinken. Sie dachten offenbar, erst beim sakramentalen Teil der Versammlung müssten alle Gemeindemitglieder anwesend sein und nicht unbedingt bei der eigentlichen Mahlzeit. Wenn dann die ärmeren Gemeindeglieder, die länger arbeiten mussten, endlich kamen, war oft bereits alles aufgegessen. Das will Paulus ändern. Ein Mahl, bei dem einige hungern müssen, ist für ihn kein Mahl im Sinne Jesu Christi.

Auch die Evangelien, die später als die Briefe des Paulus geschrieben wurden, zitieren die Einsetzungsworte, und zwar, wenn sie vom letzten Mahl erzählen, das Jesus mit seinen Jüngerinnen und Jüngern feierte. Sie überliefern dabei aber jeweils die Fassung der Worte, die in ihrer Gemeinde gebräuchlich war, und das waren – wie ein Vergleich zeigt – durchaus unterschiedliche Worte.

Ich halte es für höchst unwahrscheinlich, dass Jesus selbst zu seinen Lebzeiten die „Einsetzungsworte“ gesprochen hat. Sicherlich hat er oft gemeinsam mit seinen Jüngerinnen und Jüngern, aber auch mit anderen Menschen – Zöllnerinnen, Sündern, Pharisäerinnen und Schriftgelehrten – gegessen und getrunken. Wie alle jüdischen Menschen hat Jesus dabei „gedankt“, das heißt, er sprach über die Lebensmittel auf dem Tisch den Segen. Aber das war keine Besonderheit von ihm, sondern damals so üblich.

Die Tradition, von der die Einsetzungsworte erzählen, haben seine Anhängerinnen und Anhänger vermutlich erst nach seinem Tod ins Leben gerufen. Zu Anfang sollte das Mahl wohl einfach an den Todestag Jesu erinnern. Das kommt in der Fassung der Einsetzungsworte zum Ausdruck, die Paulus überliefert: „Dieses tut zu meinem Gedächtnis.“

Kein Streit ums Abendmahl – beim Schlussgottesdienst des Kirchentags im Waldstadion wurden die überlieferten Einsetzungsworte gesprochen. Foto: Oeser

Es fehlte aber ein Symbol für die Gegenwart Jesu. So nahmen sie das Brot, das sie mit ihm geteilt hatten, und sprachen in den Einsetzungsworten: „Dies ist mein Leib.“

Später wurden die Einsetzungsworte von Jerusalem aus an andere Orte und in andere Gemeinden weitergetragen. Dabei kamen andere Worte und Formulierungen hinzu. In Antiochien zum Beispiel erweiterte man die Worte und sprach nun: „Dies ist mein Leib für euch.“ „Für euch“ deutet eine neue Interpretation an: Nicht mehr nur die Erinnerung an einen lieben Verstorbenen und die Erfahrung, dass er immer noch gegenwärtig ist, kommt darin zum Ausdruck, sondern der Glaube, dass Jesus nicht umsonst gestorben ist, sondern dass sein Tod einen Sinn hatte – nicht zufällig, nicht, weil er von den Römern verfolgt wurde, ist er gestorben, sondern für uns Menschen.

Die Abendmahlstraditionen, die in der Bibel überliefert werden, sind also vielfältig. Sie wachsen und entwickeln sich – manchmal auch kontrovers. Das Johannesevangelium zum Beispiel berichtet überhaupt keine Einsetzungsworte, stattdessen erzählt es von einer Fußwaschung. Die Fußwaschung ist Symbol der gegenseitigen Liebe, des einzigen neuen Gebotes, das Jesus nach dem Text des Johannesevangeliums gibt.

Kann man also aus dem Neuen Testament überhaupt irgendwelche Anregungen für die heutige Abendmahlsdiskussion gewinnen? Einige Hinweise gibt es schon. Wichtig ist vor allem die Gemeinschaft am Tisch Jesu Christi. Wenn manche in Korinth meinen, das Abendmahl sei ein Sakrament, das allein durch den formalen Ablauf Wirkung habe, so verweist Paulus darauf, dass das Entscheidende die Gemeinschaft ist.

Anhand der verschieden alten und voneinander abweichenden Erzählungen im Neuen Testament können wir heute noch nachvollziehen, wie die Gemeinden damals diskutierten, wie sie mit dem Abendmahl experimentierten und wie Traditionen und Riten sich veränderten und zusammenwuchsen. Die heutigen Diskussionen über die Einsetzungsworte stehen daher durchaus in einer biblischen Tradition. Denn hinter dem Streit um die Frage, mit welchen Worten das Abendmahl eingeleitet wird, steht eigentlich – damals wie heute – die Frage, was Jesus Christus für uns und die Welt bedeutet. Und diese Frage müssen wir immer wieder von neuem diskutieren und für unsere Zeit und unsere eigene Lebenssituation beantworten.

Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 1. August 2001 in der Rubrik Gott & Glauben, erschienen in der Ausgabe .

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Angela Standhartinger ist Professorin für Neues Testament an der Universität Marburg. Zuvor war sie Vikarin in der Frankfurter Katharinengemeinde.