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Aktuell

Von – 1. Dezember 2002

Gehörlose leben zweisprachig

Sie hat keine Kirche und kein Gemeindehaus, und doch ist sie eine richtige Gemeinde mit regelmäßigem Gottesdienst, mit Konfirmandinnen und Konfirmanden, Altenclub und Bastelkreis. Die Frankfurter Gehörlosengemeinde gehört mit ihren 120 Mitgliedern und einer etwa gleich großen Zahl von weiteren Aktiven zu den kleinsten Gemeinden Frankfurts.

Die Notwendigkeit einer solchen Gemeinde ist leicht zu begründen: „Keine andere Gemeinde kann Angebote in Gebärdensprache machen“, sagt Pfarrer Gerhard Wegner. Gehörlose Menschen wachsen zweisprachig auf. Die gesprochene „Lautsprache“ wird ihnen mühsam beigebracht, Gebärdensprache lernen sie wie von selbst auf dem Schulhof. Erst seit kurzer Zeit gibt es auch Unterricht in Gebärdensprache. „Gehörlose empfinden Gebärdensprache als ihre Muttersprache“, sagt Pfarrer Wegner.

Deshalb suchen sie in ihrer Freizeit nach Möglichkeiten, sich in ihrer Sprache zu verständigen. Und da nimmt die Gehörlosengemeinde einen nicht zu ersetzenden Platz ein. Schließlich geht es um Kommunikation, um Verständigung. Die Integration, auf die Gehörlose angewiesen sind, wird von Hörenden oft als Belastung empfunden. Gehörlose müssen visuell kommunizieren, sie lesen den Hörenden von den Lippen ab. Das unterscheidet sie von Schwerhörigen, die heute meist durch den Einsatz moderner Technik noch so viel hören können, dass Verständigung über Lautsprache möglich ist. Etwa ein Promille der Bevölkerung ist gehörlos.

Kennzeichen der Gehörlosengemeinde ist daher ihre Sprache. Auch zweisprachige Angebote gibt es in begrenzter Zahl. Der Gottesdienst am Pfingstmontag auf dem Römerberg ist so eine. Da dolmetscht Pfarrer Wegner. Die Konfirmandenarbeit ist eine andere. Die wenigen gehörlosen Jugendlichen werden gemeinsam mit denen der Wartburggemeinde unterrichtet. „Ein Gewinn für alle“, resümiert Gerhard Wegner. Und wenn gesungen wird, übersetzt der Pfarrer eben für die Gehörlosen den Text in Gebärdensprache, damit sie den Inhalt verstehen.

Eine besondere Herausforderung stellt die Kirchenvorstandswahl im kommenden Jahr dar. Schon jetzt werden Kandidatinnen und Kandidaten gesucht – neun an der Zahl, so will es die Wahlordnung. „Bei uns müssen also acht Prozent der Gemeinde für den Kirchenvorstand kandidieren“, stellt Wegner fest, da muss er schon gewaltig motivieren.

Das Gemeindeleben der kleinen, über das ganze Stadtgebiet verstreuten Gemeinde ist vielfältig, obgleich man kein Gemeindehaus und keine Kirche hat. Der Gottesdienst wird in der Lutherkirche und im Gehörlosenzentrum in der Rothschildallee gehalten. „Gemeinde funktioniert“, so Wegner, „auch wenn man keine eigenen Räume hat.“

Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 1. Dezember 2002 in der Rubrik Stadtkirche, erschienen in der Ausgabe .

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Kurt-Helmuth Eimuth ist Mitglied in der Redaktion von "Evangelisches Frankfurt". Mehr über den Publizisten und Erziehungswissenschaftler ist auf www.eimuth.de zu erfahren.