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Aktuell

Von – 1. Oktober 2003

Streiten in aller Offenheit

Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland hat kürzlich gemeinsame Gebete von Christen und Muslimen abgelehnt. Andere in der Kirche wiederum neigen manchmal zu vorschneller Harmonie nach dem Motto: Wir glauben doch alle an denselben Gott. Ein echter Dialog aber erfordert beides, sowohl Offenheit als auch die Bereitschaft zum Konflikt.

Ilona Klemens ist Pfarrerin für Ökumene, interreligiösen Dialog und Weltanschauungs- fragen. Foto: Surrey

In Frankfurt gibt es 45 nicht-christliche Gotteshäuser und Gebetsstätten, 29 davon sind muslimisch. Es ist anzunehmen, dass die Zahl der Moscheen in Zukunft noch zunehmen wird. So mancher reagiert mit ängstlichen Vorbehalten: Was bedeutet das für eine Gesellschaft, in der das Christentum über viele Jahrhunderte die prägende Religion gewesen ist?

Ich plädiere dafür, in dieser Vielfalt, wie sie sich in den letzten Jahrzehnten entwickelt hat, vor allem eine Chance zu sehen, auch für die etablierten Kirchen. Zum einen, weil sie Christinnen und Christen herausfordert, sich über das Verhältnis ihres eigenen Glaubens zu dem von Menschen anderer Religionen Klarheit zu verschaffen. Das ist wichtig auch im Hinblick auf die unselige Geschichte von Religionskriegen und den Streit um den jeweiligen Anspruch, die absolute Wahrheit zu besitzen. Von vielen Menschen, die im interreligiösen Dialog engagiert sind, höre ich immer wieder, wie sie gestärkt und bereichert aus solchen Begegnungen hervorgehen, wie sie sich dabei ihrer eigenen Identität als Christinnen und Christen bewusster werden und wieder entdecken, was ihnen an ihrem Glauben wichtig ist. Darüber hinaus hilft es zu verstehen, dass Wahrheit letztendlich nicht zum Eigentum einer Religion erklärt werden kann und Gott immer größer ist als das, was wir uns an Vorstellungen von ihm machen.

Die zweite Chance liegt in der Wiederentdeckung von Religion als einer bedeutsamen Größe, die die Gesellschaft mitgestaltet. Mit den Migrantinnen und Migranten sind Menschen nach Deutschland gekommen, in deren Leben die Religion oft eine zentrale Rolle spielt und keineswegs Privatsache ist. Wer ihnen begegnet, tut gut daran, die verschiedenen Strömungen, Traditionen, geschichtlichen und kulturellen Entwicklungen der jeweiligen Religionen genau anzuschauen und sich vor einer nur oberflächlichen Auseinandersetzung zu hüten. Denn so werden entweder nur alte Vorurteile verstärkt, oder aber es verführt zu vorschnellen Harmonisierungen wie etwa: „Wir glauben im Grunde doch an denselben Gott.“

Damit die Vielfalt tatsächlich zur Chance wird und Menschen ihre Ängste voreinander überwinden können, brauchen wir sowohl eine Kultur des Dialogs als auch eine Kultur des Konflikts – beides gehört zusammen. Der Dialog kann uns helfen, über den Austausch zu Glaubensfragen hinaus gemeinsame Interessen zu finden und Initiativen zu entwickeln, die eine Integration fördern, zum Beispiel im Hinblick auf Kinder und Jugendliche. Muslimische Kinder sind nicht nur die Kinder „der Muslime“, sondern sie sind unser aller Kinder. Ihr Wohl muss das Interesse der ganzen Gesellschaft sein, genauso wie es gemeinsames Interesse sein sollte, der wachsenden Armut und sozialen Ungleichheit im Land zu begegnen, die immer mehr Menschen, unabhängig von Herkunft und Glauben, von gesellschaftlicher Teilhabe ausgrenzt. Die verschiedenen Religionen haben dazu aus ihren Traditionen viel zu sagen und können einen wertvollen Beitrag leisten, Gerechtigkeit und Frieden zu fördern.

Und wo die Vorstellungen auseinander gehen und zu Konflikten führen über das, was gut und richtig ist und was gelten soll bei uns, da müssen wir alle lernen, miteinander zu streiten – ohne Gewalt. Kirchengemeinden können dafür eine Plattform bilden, für sich an Profil gewinnen und damit einen ureigenen christlichen Auftrag erfüllen: Selig sind die Frieden stiften, sagt Jesus, der ohne Angst immer wieder religiöse Grenzen überschritten hat. Lassen wir uns von seinem Beispiel leiten.

Beratung zu Themen des interreligiösen Dialogs und zu Weltanschauungsfragen: Ilona Klemens, Neue Kräme 26, 60311 Frankfurt, Telefon 427261716, ilona.klemens@ev-dekanat-ffm.de.

Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 1. Oktober 2003 in der Rubrik Gott & Glauben, erschienen in der Ausgabe .

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Ilona Klemens ist Pfarrerin für interreligiösen Dialog in Frankfurt.