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Von – 1. Mai 2004

Die Pfingstler kommen

„Die Kirchen werden immer kleiner“ wird oft gesagt – und wer nur auf die historisch gewachsenen Kirchen Europas schaut, hat damit vielleicht sogar Recht. Weltweit gesehen ist es aber schlichtweg falsch. Denn ob in Afrika, Lateinamerika oder Asien: Nicht etwa der Islam ist auf dem Vormarsch, sondern die neuen christlichen Gemeinschaften der so genannten Pfingstler. Inzwischen gibt es sie auch schon in Frankfurt.

Dietmar Will ist Pfarrer für Ökumene beim Dekanat Mitte-Ost. Foto: Oeser

Ein Wachstum von null auf 500 Millionen in weniger als hundert Jahren: Das gab es in der ganzen Kirchengeschichte noch nie. Überall auf der Welt scheint das Christentum zu boomen – allerdings in einer Form, die uns im Westen fremd und auch manchmal beängstigend scheint: Die so genannte Pfingstbewegung. Sie entstand Anfang des 20. Jahrhunderts in den USA, wo sich der Legende nach 1906 in Los Angeles das erste „Geistwunder“ ereignete: Menschen konnten plötzlich, vom „heiligen Geist“ erfüllt, in fremden Sprachen reden, hatten ekstatische Zustände, sangen, beteten – so ähnlich wie beim Pfingstereignis in der Urgemeinde, von dem die Apostelgeschichte berichtet. Viele der jungen, wachsenden Kirchen in aller Welt wurden von Pfingstmissionaren aus den USA begründet oder berufen sich auf diese Tradition.

Diese „neuen Kirchen“ sind häufig stark mit vorchristlichen Religionen und Kulturen verknüpft und übernehmen so auch einige überlieferte Praktiken. Bemerkenswert ist, dass jene Kirchen am stärksten wachsen, die nicht von westlichen Missionsgesellschaften unterstützt werden. Oft sind die Pfarrer nur im Nebenamt, ihr Brot verdienen sie zum Beispiel als Bauer oder Maurer. Dies hat Folgen. Die Gemeinden müssen einen großen Teil der pfarramtlichen Tätigkeit selbst übernehmen. Und sie haben auch eine soziale Funktion: So bekommen viele arbeitslose Jugendliche eine sinnvolle Arbeit, wenn auch keinen Lohn. Für die Mehrzahl ihrer Mitglieder ist die Gemeinde ein Ort des Überlebens.

Auch in Frankfurt und Umgebung gibt es sie schon, diese neuen christlichen Gemeinschaften. Sie kommen vor allem aus Afrika und Asien, aus Ghana, Nigeria, Korea oder den Philippinen. Häufig sind es Flüchtlinge oder Studentinnen und Studenten, die nach Deutschland kommen und sich hier nicht den traditionellen Kirchen anschließen, sondern eigene Gemeinden gründen.

Christen wie sie drücken sich oft in einem Vokabular aus, das für westlich-aufgeklärte Ohren merkwürdig fromm und teilweise sogar fundamentalistisch klingt. Aber Sätze wie „Halleluja, ich bin gerettet“ sind für einen Oberapostel einer pfingstlerischen Gemeinde keine leere Floskel. Sie bezeichnen auch nicht einfach nur ein religiöses Erweckungserlebnis, wie in evangelikalen Gemeinden hier zu Lande, sondern sind ganz konkret gemeint: „Ich verdanke es Jesus und seiner Gemeinde, dass ich im Dschungel der Großstadt nicht physisch vernichtet wurde.“

Was die Faszination der Pfingstkirchen ausmacht, ist oft schwer zu bestimmen. So unterschiedlich ihre Formen, so vielgestaltig sind auch die Inhalte – sie reichen von erzkonservativ bis progressiv. Auch politisch treten sie in Erscheinung, zum Beispiel als Interessenvertreter benachteiligter Bevölkerungsgruppen, wie in Brasilien, den USA oder auch Chile. Pfingstler sind also keineswegs nur nach innen gekehrt. Unter ihnen gibt es auch politische Kirchenführer wie den südafrikanischen Pastor und Menschenrechtler Frank Chikane. Er war Nachfolger von Desmond Tutu im südafrikanischen Kirchenrat, wurde mehrere Male verhaftet und gefoltert, und ist heute Beamter der südafrikanischen Regierung – in Südafrika gehören achtzig Prozent der schwarzen Christen und Christinnen zu den neuen Kirchen.

Trotz ihres enormen Wachstums wird diese Bewegung im Westen vielfach noch gar nicht so richtig wahrgenommen, was auch daran liegt, dass manche dieser Gemeinden ein eher eigenbrötlerisches Dasein führen und kein Interesse an einem Kontakt mit traditionellen Kirchen haben. Schwierig ist der Umgang mit den Pfingstkirchen auch dann, wenn sie einen Alleinvertretungsanspruch erheben. Vielfach arbeiten sie jedoch inzwischen in den offiziellen Kirchenräten mit. Früher oder später wird es unumgänglich sein, sich mit dieser Bewegung auseinander zu setzten. Das Pfingstfest ist dafür ein guter Anlass – und das gemeinsame Feiern mit Christinnen und Christen aus anderen Ländern hat am Pfingstmontag in Frankfurt schon eine gute Tradition. Es ist ein Tag, an dem uns der Geist Gottes trotz aller Unterschiede von Sprache, Kultur, Traditionen und Konfessionen verbindet. Denn Pfingsten ist das Fest der Bewegung, des Rausches, der Veränderung über alle unsere kleingläubigen Grenzen hinweg.

Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 1. Mai 2004 in der Rubrik Gott & Glauben, erschienen in der Ausgabe .

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Dietmar Will ist Pfarrer für Ökumene beim Dekanat Mitte-Ost.