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Aktuell

Von – 1. Juli 2005

Nicht nur Lohnarbeit zählt

„Wer nicht arbeitet, soll auch essen!“ So war unlängst ein Artikel in der Frankfurter Rundschau überschrieben. Der Politologe Michael Opielka plädiert darin für ein Grundeinkommen für alle. Will er damit das Schlaraffenland ausrufen, wo man faul auf der Haut liegt und einem die gebratenen Tauben in den Mund fliegen?

Gunter Volz ist Pfarrer für gesellschaftliche Verantwortung der Kirche. Foto: Oeser

Der Vorschlag eines Grundeinkommens, das allen Bürgerinnen und Bürgern vom Staat zur Verfügung gestellt wird, wirkt auf den ersten Blick weltfremd und unrealistisch. Schließlich sind wir alle von einem biblischen Wort geprägt, auf das Opielka anspielt: „Wer nicht arbeiten will, der soll auch nicht essen“ (siehe dazu auch den Beitrag „Luther und Co.“ auf dieser Seite). Arbeitsamkeit und Fleiß sind wichtige Tugenden auf unserer Werteskala. Mit Arbeit haben wir viel erreicht, gerade im Nachkriegsdeutschland.

Diese Sichtweise verführt aber auch dazu, Menschen nach dem zu beurteilen, was sie leisten. Doch weder nach biblischem Verständnis noch nach dem des deutschen Grundgesetzes hängt die Würde des Menschen an seiner Arbeit. Vielmehr sind wir aus Glauben an Jesus Christus und nicht auf Grund unserer Werke vor Gott gerechtfertigt.

Dennoch bleibt die Frage: Was ist mit denen, die gerne arbeiten wollen, aber keinen Arbeitsplatz haben? Seit den siebziger Jahren haben wir in Deutschland eine kontinuierlich angestiegene Arbeitslosigkeit. Diese zu beseitigen oder zumindest nachhaltig zu reduzieren, war erklärtes Ziel jeder Bundesregierung. Geschafft hat es bisher keine. Rund 4,7 Millionen Menschen in Deutschland sind heute arbeitslos. Es ist sehr zu bezweifeln, dass wir eine annähernde Vollbeschäftigung, wie in den sechziger Jahren, je wieder erreichen. Prognosen gehen eher davon aus, dass uns zukünftig eine noch weiter ansteigende Sockelarbeitslosigkeit begleiten wird.

Ein Grundproblem besteht darin, dass es immer weniger Erwerbsarbeitsplätze gibt. Allein von März 2003 bis März 2004 ist in Frankfurt die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten um 15612, also um 3,2 Prozent gesunken. Es entstehen zwar auch neue Arbeitsplätze. Diese gleichen jedoch bei weitem nicht die verloren gegangenen aus.

Originelle Recyclingidee der Frankfurter Künstler Mirek Macke und Leonard Kahlcke: Die Leuchtschrift „Mensch“, die jetzt auf dem Dach der Diakoniekirche Weißfrauen strahlt, ist aus der Buchstabenfolge der Leuchtreklame „M. Schneider“ entstanden, die das traditionsreiche Frankfurter Zeil-Kaufhaus bis 1998 zierte. Foto: Oeser

Was sollen die Menschen tun, die keinen Erwerbsarbeitsplatz mehr haben? Mancherorts haben sie sich schon „die Überflüssigen“ genannt. Vor diesem Hintergrund ist es sinnvoll, Erwerbsarbeit und soziale Sicherung zu entkoppeln. Dass niemand in Armut fällt, dass die Grundbedürfnisse aller Menschen (Essen, Trinken, Wohnen, Gesundheit) abgesichert sind, dass alle an Bildung und Kultur teilhaben können, muss auch zukünftig Ziel sozialstaatlichen Denkens und Handelns sein.

Eine finanzielle Grundsicherung löst aber noch längst nicht alle Probleme, die die Krise der Erwerbsarbeitsgesellschaft mit sich bringt. Schließlich hat die Arbeit auch andere Funktionen: Sie gibt dem Leben einen festen Rhythmus und Sinn. Sie bindet uns ein in ein soziales Netz und verleiht uns Anerkennung gegenüber anderen. Erwerbsarbeit ist nach wie vor der Platzanweiser Nummer eins in unserer Gesellschaft. Weil Arbeit für alle ein wichtiges Gut ist, muss es oberste Priorität sein, neue Arbeitsplätze zu schaffen und alte zu erhalten: und zwar solche, die ein Auskommen ermöglichen, ohne dass jemand mehrere Jobs übernehmen muss.

Der Rückgang der Erwerbsarbeit birgt jedoch auch die Chance, anderen Tätigkeiten, die für das Funktionieren unserer Gesellschaft bedeutsam sind, mehr Gewicht zu geben. Dazu zählt die Sorge für Kinder, die Pflege von kranken und alten Menschen, ehrenamtliche Tätigkeiten für Kirche, Vereine und Initiativen. Diese Tätigkeiten und Erwerbsarbeit individuell auszutarieren und beide Anteile gerecht unter Frauen und Männern zu verteilen, darin sehe ich die entscheidende Herausforderung unserer Gesellschaft für die Zukunft. Ob dies gelingt, wird nicht zuletzt davon abhängen, ob wir zu verwirklichen lernen, was uns als Christinnen und Christen ins Stammbuch geschrieben ist: Teilen, damit alle ein Leben in Würde haben.

Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 1. Juli 2005 in der Rubrik Gott & Glauben, erschienen in der Ausgabe .

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Gunter Volz ist Pfarrer für gesellschaftliche Verantwortung der Kirche.