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Aktuell

1. Februar 2007

Mehr als Computer und iPod

Das Internationale Kinderhaus im Bahnhofsviertel erweitert Horizonte

Seine Mutter ist Portugiesin, der Stiefvater Pakistani. Der Achtjährige möchte nicht katholisch bleiben, sondern Muslim werden. Zur Weltmeisterschaft 2006 hat er stolz die deutsche Nationalhymne auswendig gelernt – die Lebenswelten vieler Kinder, die im Bahnhofsviertel aufwachsen, sind sehr speziell.

Ein anderes Beispiel: Seine Großmutter war Analphabetin, aber der türkische Junge spricht mittlerweile gut deutsch. Bis er in die dritte Klasse kam, hat niemand bemerkt, dass ihm seine ältere Schwester jeden Tag den Ranzen in die Schule schleppte. Sie trägt ein Kopftuch und kann sich kaum verständigen. Auch ihr Türkisch ist fehlerhaft. Dafür kocht sie ziemlich gut.

Zum Geburtstag des Internationalen Kinderhauses in der Wiesenhüttenstraße bringen die Kinder den Festgästen eine Torte. Weil sie so schwer ist, trägt sie aber einer der Pädagogen, Hasan Köksal.  | Foto: Oeser

Zum Geburtstag des Internationalen Kinderhauses in der Wiesenhüttenstraße bringen die Kinder den Festgästen eine Torte. Weil sie so schwer ist, trägt sie aber einer der Pädagogen, Hasan Köksal.
Foto: Oeser

Dass sie untypisch sind, ist typisch für die Geschichten vieler Kinder, die nachmittags ins Internationale Kinderhaus kommen. Die Einrichtung des Evangelischen Vereins für Jugendsozialarbeit für sechs bis vierzehnjährige Kinder feierte vor kurzem ihr 20-jähriges Jubiläum. Christian Telschow, der die Leitung des Hauses vor fünf Jahren übernahm, berichtet, dass die meisten Kinder nicht nur Schwierigkeiten mit der deutschen Sprache haben und deshalb schlecht in der Schule mitkommen, sondern sich auch kaum länger als eine halbe Stun­de konzentrieren können – es sei denn vor dem Computer oder dem Fernseher. Zusammen mit fünf Kolleginnen und Kollegen hilft er Kindern aus 25 verschie­ denen Herkunftsländern zum Beispiel bei den Hausaufgaben. Die Zusammenarbeit mit der nahe gelegenen Karmeliterschule ist so gut, dass Telschow zum Vorsitzenden des Fördervereines gewählt wurde.

„Darüber hinaus besteht unsere wichtigste Aufgabe darin, Bildungsanreize zu geben, die die Elternhäuser nicht vermitteln können“, erklärt Telschow. „Das kann schlicht bedeuten, ab und an mal den Stadtteil zu verlassen. Zwischen Hauptbahnhof, Rotlichtmilieu, Banken und großen Hotels aufzuwachsen, ist nicht gerade ideal für Kinder.“

Fußball, Inlineskaten, Tanzen und Kindertheater stehen im Internationalen Kinderhaus auf dem Programm. Die Kinder können malen, basteln, töpfern und auch kochen. Viele Jungen lernen hier zum erstenmal, mit Messer und Gabel zu essen oder sich selbst ein Brot zu schmieren. Auch soziale Fertigkeiten wie die, sich nach einem Streit wieder zu ­ verrtragen, können täglich geübt werden. Angeboten werden zudem auch Ausflüge ins Museum oder ins Theater.

„Es ist erstaunlich, wie schwer es ist, die Kinder zu etwas Neuem zu motivieren. Klamotten und Computer oder iPods spielen eine große Rolle. Aber Fahrrad fahren zu lernen, sich an der Parade der Kulturen zu beteiligen oder auch nur eine Wand hier im Haus in einer Farbe anzustreichen, statt dem ewigen Weiß, sprengt bei vielen erstmal den Horizont. Solche Erfahrungen würden die Kinder sonst nicht machen.“ Deshalb sprach die Vorsitzende des Regionalverbandes, Pfarrerin Esther Gebhardt, bei der Jubiläumsfeier von einem „Schatz der evangelischen Kirche im Bahnhofsviertel“.

Stephanie von Selchow

Artikelinformationen

Beitrag veröffentlicht am 1. Februar 2007 in der Rubrik Stadtkirche, erschienen in der Ausgabe .

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