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Aktuell

1. April 2007

„Das Alter heilt nicht“

Cilly Levitus-Peiser erinnert an das jüdische Leben im Ostend

Vergessen könne sie nie, aber kämpfen für mehr Toleranz: Cilly Levitus-Peiser sitzt ganz entspannt im Gemeindesaal der Nicolaigemeinde im Ostend, liest und erzählt. Ihre Stimme bleibt ruhig, wenn sie die Bilder der Vergangenheit nachzeichnet. Ihre Stimme bleibt ruhig, obwohl jedes Wort vergegenwärtigt, wie oft ihr Leben unter dem Hitlerregime bedroht war.

Cilly Levitus-Peiser, Zeitzeugin aus dem Frankfurter Ostend, bei ihrer Lesung in der Nicolaigemeinde. | Foto: Oeser

Cilly Levitus-Peiser, Zeitzeugin aus dem Frankfurter Ostend, bei ihrer Lesung in der Nicolaigemeinde.
Foto: Oeser

Die 81-Jährige ist die letzte jüdische Zeitzeugin in Deutschland, die noch von 1932 bis 1938 in der Israelitischen Waisenanstalt am Röderbergweg gelebt hat. Sechs Jahre lang wohnte sie hier in unmittelbarer Nachbarschaft zur evangelischen Gemeinde. Auf dem Grundstück der Waisenanstalt stehen längst Wohnungen. Doch Cilly Levitus-Peiser sorgt dafür, dass die Erinnerung wach bleibt.

In der Nicolaigemeinde las Levitus-Peiser aus dem Buch: „Zu keinem ein Wort“, das Lutz von Dijk nach ihrer Geschichte geschrieben hat. Sie lässt den jüdisch-orthodoxen Alltag im Heim wieder aufleben, der zunächst auch von christlichen Angestellten geprägt war. Liebevoll erinnert sich Levitus-Peiser zum Beispiel an Lisa, ein christliches Hausmädchen, das einmal heimlich ihre Puppe reparierte. Sie erzählt aber auch von der belasteten Nachbarschaft zur evangelischen Gemeinde: „Ab 1933 spürten wir den politisch geschürten Hass“. Der tägliche Schulweg in die jüdische Samson-Raphael-Hirsch-Schule in der Straße Am Tiergarten sei zunehmend ein Spießrutenlauf geworden. „Wir wären gern ins damalige Palästina ausgereist“, erinnert sie sich. Doch 1938, nach der Pogromnacht, reiste sie, inzwischen dreizehnjährig, mit ihrer jüngeren Schwester in einem Kindertransport nach Amsterdam. „Ich habe dort viel gelitten“ sagt sie heute, „aber überlebt“. 1943 tauchte sie „mit Hilfe von Christen“, wie sie betont, unter.

Auch nach dem Krieg verliefen die Stationen des Lebens von Cilly Levitus-Peiser ungewöhnlich: Sie reiste illegal nach Palästina, erlebte dort die Aufbruchstimmung des jungen Staates Israel. Doch als sie den Funk-Offizier Hans Peiser heiratete, kehrte sie 1957 mit ihm und den Kindern nach Deutschland zurück. Nicht besonders gerne: „Ich hatte Angst vor dem Aufkeimen alter Gefühle und kam nur aus Liebe zu meinem Mann, dem sich hier Berufschancen boten“, bekennt sie. Erst viel später, durch den Kontakt mit einem „anderen Deutschland“ habe sie sich langsam öffnen können, neue Freunde gewonnen.

Cilly Levitus-Peiser liest und erzählt ihre Vita heute in Schulen, in Bibliotheken und bei Konfirmandengruppen. Sie engagiert sich als Vorsitzende von „Child Survivors Deutschland“, einem Verein, der sich um Überlebende des Holocaust kümmert, die immer noch traumatisiert sind. Denn: „Das Alter heilt nicht. Die Schreckensbilder werden immer plastischer“, bekennt sie. Träume lassen sich nicht verdrängen, sagt Cilly Levitus-Peiser. Man müsse reden, Begegnungen schaffen und für ein freundschaftliches Zusammenleben der Religionen kämpfen.

Gisela Pagés

Artikelinformationen

Beitrag veröffentlicht am 1. April 2007 in der Rubrik Menschen, Stadtkirche, erschienen in der Ausgabe .

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