Hinweis

Diese Website wurde am 28. November 2017 archiviert. Neues Online-Angebot: Evangelische Kirche in Frankfurt.

Aktuell

1. April 2007

„Erschreckender Mangel an Empathie“

Kirchen kritisieren Umgang mit Flüchtlingskindern am Flughafen

Wer die Flüchtlingsunterkunft am Frankfurter Flughafen besuchen will, muss Schranken passieren, persönliche Daten speichern und sich Türen auf­ schließen lassen. Hier, auf dem abgelegenen Gelände der Cargo City Süd, warten Flüchtlinge auf die Entscheidung, ob sie einreisen dürfen oder nicht. Viele verbringen hier nur einige Tage, andere Wochen.

Nicht nur Erwachsene, auch alleinreisende Kinder kommen am Rhein-Main-Airport an – nicht viele, vielleicht zwanzig im Jahr. Kann man sie zwischen lauter fremden Erwachsenen tagelang alleine lassen? Über diese Frage ist ein Streit zwischen den Frankfurter Kirchen und dem Bundesinnenministerium entbrannt. Die Kirchen fordern, Kinder nicht am Flughafen festzuhalten, sondern sie rasch einreisen zu lassen, damit sich jemand um sie kümmert, während die Behörden über ihr weiteres Schicksal entscheiden. Das Innenministerium hingegen will Kinder auf der Flucht anders behandeln als solche, die in Deutschland leben: „Das Kinder- und Jugendhilfegesetz findet keine Anwendung“ heißt es in einem Brief von Staatssekretär Peter Altmaier. „Maßstab ist nicht der Standard von Kinderheimen im Inland.“

Anlass für die Auseinandersetzung war der Fall eines fünfjäh­ rigen Mädchens, das mehrere Tage und Nächte auf sich allein gestellt in der Flüchtlingsunterkunft bleiben musste, nachdem seine Mutter schwer krank in ein Krankenhaus gebracht worden war. Der Kirchliche Flüchtlingsdienst am Flughafen bemühte sich, das Kind unterzubringen, das Frankfurter Jugendamt reservierte einen Platz in einem Kinderheim. Doch die Behörden blieben stur – mit dem Segen des Bundesinnenministeriums: „Die Bundespolizei war uneingeschränkt verpflichtet, die Einreise zu verhindern“, heißt es in dem Schreiben von Altmaier.

„Was mich am meisten entsetzt, ist der Mangel an Einfühlungs­ vermögen, der aus diesem Büro­ kratendeutsch spricht“, sagt Pfarrerin Esther Gebhardt, Vorstandsvorsitzende des Evangelischen Regionalverbandes, die sich zusammen mit Caritasdirektor Hartmut Fritz für das Mäd­ chen eingesetzt hatte. „Ich hätte wenigstens ein Wort des Be­ dauerns erwartet.“ Nach Ansicht von Gebhardt ist die Flüchtlingsunterkunft alles andere als kindgerecht. Zwar sieht auf den ersten Blick alles sehr hübsch aus: Aufenthaltsräume mit Fernseher und Kicker, ein Bolzplatz im Innenhof. Aber nur tags­ über sind Sozialarbeiter vor Ort. Nachts bewacht lediglich ein privater Sicherheitsdienst die Flüchtlinge. Dass dort auch eine Frau zum Team gehört, mache die Betreuung noch nicht kindgerecht, betont Gebhardt: „Die Frage ist doch, ob Sicherheitskräfte es auch als ihre Aufgabe ansehen, sich nachts um kleine Kinder zu kümmern, zumal sie dafür in keiner Weise ausgebildet sind.“

Die Auseinandersetzung geht weiter. Erst kürzlich musste wieder ein 9-jähriger Junge zwei Wochen allein in der Unterkunft verbringen. In ihrem Antwortschrei­ – ben an Innenminister Schäub­ le verweisen Gebhardt und Fritz auf die Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen, wonach auch Flüchtlingskinder einen Anspruch auf altersgemäßen Schutz und Betreuung haben.

Antje Schrupp

Artikelinformationen

Beitrag veröffentlicht am 1. April 2007 in der Rubrik Stadtkirche, erschienen in der Ausgabe .

Artikel teilen: E-Mail Facebook Twitter Google+

Kommentare zu diesem Artikel

  • Hartmut Mörchen schrieb am 1. Mai 2007

    Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. Meines Erachtens sind Kinder auch dann Menschen, wenn sie nicht die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen. In Sonntagsreden wird immer wieder auf die christlichen Grundwerte der BRD hingewiesen. Hier werden sie grob missachtet. Was soll denn aus diesen Menschen werden, die ohne Liebe und Fürsorge aufwachsen? Es erfüllt mich mit Trauer und Sorge, dass man den Innenminister der BRD auf Artikel 1 des Grundgesetzes hinweisen muss.

  • Gerhard L. Mueller-Debus schrieb am 1. Mai 2007

    Ich finde es ungeheuerlich, wie kaltschnäuzig und arrogant sich Peter Altmaier vom Gipfel der bürokratischen Macht herab äußert, wenn es um angemessene Betreuung von Flüchtlingskindern am Flughafen Frankfurt geht. Solche Auswüchse dürfen sich in Deutschland nicht wieder etablieren – deshalb ist es gut und richtig, dass die Kirchen massiv dagegenhalten! Dabei darf es nicht bei der Einreichung einer Protestnote bleiben, Herr Altmaier muss konsequent und massiv unter Druck gesetzt werden – auch über seine eigene Parteiorganisation. Das Schlimme ist ja, dass mittlerwei­ le die Einstellung in einschlägi­ gen Ministerien, Ausländerämtern usw. überwiegend menschenverachtend und rein funktionsbezogen geworden ist – vor allem auch bei Abschiebungen, wo sich unglaubliche Ereignisse häufen, die von Beamten und Angestellten des öffentlichen Dienstes zu verantworten sind, ohne dass es einen Aufschrei der Empörung in der Öffentlichkeit gibt. Da werden Familien auseinandergerissen und Menschen in aller Frühe abgeholt und verschwinden. Unlängst hatte eine Sachbearbeiterin in einer deutschen Abschiebebehörde als Bildschirmschoner den Satz eingespeichert: „Wir buchen – Sie fluchen“, ohne dass sich irgendwer in der Behörde aufgeregt hätte.