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Von – 1. September 2007

Grenzorte des Heiligen

Kirchen sind keine Gebäude wie andere, sie haben eine symbolische Bedeutung, die über ihre reine Funktion hinaus geht. Als „Grenzorte“ bieten sie Raum für die Begegnung zwischen Menschen und Gott.

Seit jeher haben Christen und Christinnen ihre Gottesdienste überall gefeiert: In Häusern, Markthallen oder ehemaligen Tempeln vorchristlicher Gottheiten. Das, was sie taten, wenn sie sich versammelten, machte diese Gebäude zu Kirchen: In der Bibel lesen, beten, singen, taufen und Abendmahl feiern. Durch den Gottesdienst wird der Raum zur Kirche. Jedes Gebäude kann für diese Zeit des Gottesdienstes zu einem „Grenzort“ werden, zu einem Ort der Begegnung mit Gott. Dieses Geschehen heiligt den Raum. Der Kirchenraum rückt an die Grenze der Profanität, des Gewöhnlichen, denn er öffnet das Leben der Menschen für die Gegenwart Gottes. Gott allein ist heilig. Gott allein kann heiligen. Deshalb sind Kirchen im engeren Sinn keine heiligen Räume, sondern menschliche Grenzorte.

Das ist nicht wenig. Schon immer haben Menschen solche Grenzorte gebraucht. Orte, die jenseits der alltäglichen Zwecke stehen, die nicht beliebig umfunktioniert werden können. An solchen Orten entsteht die Gewissheit, dass das Leben auch anders sein könnte, dass wir mehr sind als ein Rädchen im Getriebe, dass hier der politischen und wirtschaftlichen oder militärischen Macht eine Grenze aufgewiesen wird.

Dort, wo Gebäude über lange Zeiträume zum Ort von christlichen Gottesdiensten wurden, wie zum Beispiel in den römischen Basiliken, den Markt- und Gerichtshallen, da prägte sich das Geschehen allmählich in die Räume ein. Die Atmosphäre der Gottesdienste, die Abläufe der Taufen, Abendmahlsfeiern und Predigten formten den Raum. Ein- und Umbauten wurden vorgenommen, Taufsteine, Altäre und Kanzeln aufgestellt. Auch durch ihre Ausrichtung (nach Osten), durch Tiefe (um die Toten einzubeziehen) und Höhe (um sich Gott entgegenzustrecken) wurde der Grenzcharakter dieser Räume immer sichtbarer gemacht. Wurden neue Kirchengebäude gebaut, dann wurden sie – und werden bis heute – vom Gottesdienst her entworfen. Eine Kirche unterscheidet sich also dadurch von anderen Gebäuden, dass der Raum als Grenzort christlicher Gottesbegegnung bewusst gestaltet ist.

In den 1960er Jahren und danach entstanden in Frankfurt wie auch anderswo evangelische Gemeindezentren in großer Zahl. Diese Gemeindesäle waren nicht nur für Gottesdienste bestimmt, sondern hatten vielfältige Funktionen: Auch Versammlungen, Feste, Basare oder Gruppentreffen können hier stattfinden. Entsprechend funktional war ihre Architektur. Doch auch hier prägte sich im Lauf der Zeit das gottesdienstliche Geschehen dem Raum ein. Teppiche begannen den Altarraum zu markieren, Kreuze oder Darstellungen der Dreieinigkeit richteten den Raum aus, Taufsteine, Altäre und Kanzeln wurden markanter, Glockentürme gebaut. Offenbar gibt es ein großes Bedürfnis, dass kirchliche Räume auch deutlich als Grenzorte der Gottesbegegnung, als Kirchen also, erkennbar sind.

Heute zeigt sich durch Pilgerwege zu bedeutsamen Kirchen, durch die Öffnung evangelischer Kirchen oder die so genannte „Nacht der Kirchen“, wie unverzichtbar solche Grenzorte für Menschen sind. Dies hat die theologischen Sichtweisen geprägt. Entsprechend groß ist die Bandbreite christlicher Theologien. Den einen sind Kirchen, als Orte der Verklärung und Verwandlung, sakrale Räume; den anderen sind sie, als Orte des Hörens und der Nachfolge, profane Räume. In allen Fällen jedoch sind Kirchen Grenzorte, die uns unsere Grenzen aufweisen und uns für die Macht jenseits der Grenze öffnen wollen.

Nur wo das geschieht, sind und bleiben Räume Kirchen, atmosphärische Grenzorte, flirrend von Trauer und Jubel, berührt von Gott. Hört der Gottesdienst auf, den Raum zu erfüllen, werden die Gebäude wieder das, was sie einmal waren: Wohnhäuser, Markthallen, Tempel anderer Gottheiten, oder sie verfallen ganz. Und wir werden erinnert, dass nach evangelischem Verständnis Gott auch „unter den Elbbrücken“ (wie Luther das einmal ausdrückte), in Fabrikhallen oder wo auch immer angebetet werden kann. Gott wird sich seine Kirche bauen.

 

Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 1. September 2007 in der Rubrik Gott & Glauben, erschienen in der Ausgabe .

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