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Aktuell

1. Februar 2008

Der „Lotse“ wird zum Hindernis

p(einleitung). Kennt nur das Christentum die absolute Wahrheit? Und glauben alle anderen Religionen – und vor allem der Islam – an einen falschen Gott? Eine Handreichung der evangelischen Kirche sorgt für Irritationen im interreligiösen Dialog.

„Profilierung auf Kosten des Islam“ haben muslimische Verbände der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) vorgeworfen, als vor gut einem Jahr die Handreichung „Klarheit und gute Nachbarschaft. Christen und Muslime in Deutschland“ erschien. Inzwischen zeigt sich, dass es dabei nicht nur um einen christlich-islamischen Konflikt geht. Auch Angehörige anderer Religionen sowie christliche Theologinnen und Theologen haben sich inzwischen kritisch zu Wort gemeldet. Im Januar tauschten sie ihre Positionen bei einer Podiumsdiskussion in der Evangelischen Stadtakademie am Römerberg aus.

!(kasten)2008/02/seite04_oben.jpg(Fundamentalistische Tendenzen gibt es auch im Christentum – hier bei einer Weltversammlung evangelikaler und charismatischer Kirchen in Berlin. „Fundamentale Positionen“ werfen Kritiker auch einer Handreichung des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland zum Thema Christen und Muslime vor. Dieser Text ist unter dem Titel „Klarheit und gute Nachbarschaft“ als PDF oder Broschüre erhältlich unter ekd.de. Gegenpositionen dazu finden sich in Jürgen Micksch: Evangelisch aus fundamentalem Grund, Lembeck-Verlag 2007. | Foto: epd-Bild / Michael Jespersen)!

Bei der Handreichung gehe es in erster Linie um eine „Klärung innerhalb der evangelischen Kirche, mit welcher Position wir in den Dialog gehen“, erläuterte Jochen Kramm, der Leiter des evangelischen Zentrums für Ökumene in Frankfurt. Als „Lotse“ im interreligiösen Gespräch habe der Text vor allem vor Gefahren und Klippen warnen wollen, daher würden Konflikt- und Streitpunkte mit dem Islam stärker herausgestellt als Gemeinsamkeiten. Zwar habe die Schrift zuweilen einen „stark mahnenden Charakter“ bekommen. Letztlich stärke sie aber doch all jenen den Rücken, die im Dialog engagiert seien, denn es werde klar gesagt, dass es zum Dialog keine Alternative gebe.

Jürgen Micksch, ebenfalls evangelischer Theologe und Vorsitzender des Interkulturellen Rates Frankfurt, sagte hingegen, die Handreichung habe in den seit Jahrzehnten aufgebauten christlich-muslimischen Beziehungen einen „Scherbenhaufen“ angerichtet. Insbesondere wies er den Vorwurf zurück, die Gespräche seien früher ein „Kuscheldialog“ gewesen. „Wer das sagt, hat schlicht keine Ahnung. Es waren immer harte Auseinandersetzungen und kontroverse Debatten, allerdings getragen von gegenseitigem Respekt“, so Micksch. Er sieht in der Handreichung eine Tendenz zur Zentralisierung in der EKD und ein Zugeständnis an evangelikale und fundamentalistische Kräfte.

p(autor). Antje Schrupp

h2. Profiliert sich die Kirche auf Kosten anderer?

h3. Micha Brumlik

p(einleitung). Micha Brumlik ist Professor für Erziehungswissenschaften an der Universität Frankfurt und Mitglied der Jüdischen Gemeinde.

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Was mich an dieser Schrift hauptsächlich irritiert hat, ist die gleich anfangs vorgenommene Gleichsetzung von Christentum und Islam als Missionsreligionen, die beide einen absoluten Wahrheitsanspruch haben, und dass daraufhin festgestellt wird, dass es nur der christliche Glaube sei, der seine Gläubigen zu „wahrer Menschlichkeit“ befreie. Im Umkehrschluss kann das ja nichts anderes heißen, als dass die Anhänger aller anderen Religionen wahre Menschlichkeit nicht erreichen können. Das finde ich vor dem Hintergrund des christlich-jüdischen Dialogs einen ganz erheblichen Rückschritt und eine unglaubliche Arroganz, eine späte Form des christlichen Triumphalismus. Ich erkläre mir das so, dass die evangelischen Kirchen, ebenso übrigens wie die katholische, in einer Situation, in der der religiöse Pluralismus zunimmt – vor allem durch die muslimische Migration – der Meinung sind, ihren Gläubigen noch einmal vermitteln zu müssen, was der feste, unverrückbare Kern ihres Glaubens ist. Das ist natürlich an und für sich kein Fehler, doch wenn es nur in Abgrenzung und Feindseligkeit zu anderen Religionen geschieht, ist es lediglich ein Zeichen von Angst und nicht, wie man erwarten könnte, von christlichem Gottvertrauen. Zumal dieser Glaubenskern in der Handreichung einfach behauptet und als geklärt vorausgesetzt und keineswegs argumentativ erläutert wird. Solche Glaubensbekenntnisse gehören seit der späten Antike zur christlichen Kultur, während jedenfalls das rabbinische Judentum versucht, sich in der Debatte an den Aussagen überlieferter Schriften kommentierend zu orientieren. So wird der Prozess der Auseinandersetzung insgesamt offener und weniger schroff gestaltet.

h3. Naime Cakir

p(einleitung). Naime Cakir ist Interreligiöse Beauftragte und Frauenbeauftragte der Islamischen Religionsgemeinschaft Hessen.

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Man stelle sich einmal folgende Situation vor: Sie möchten mit Ihrem Nachbarn Kontakt aufnehmen, erzählten ihm aber erst einmal, was Sie an seinem Glauben und Lebensstil schlecht finden. Ihre eigene Glaubensüberzeugung und Lebensweise dagegen redeten Sie nicht nur schön, sondern preisen sie auch als das allein Heilbringende an. Es ist wohl zu vermuten, dass auf diese Weise eine gute Nachbarschaft kaum gelingen kann. Und doch ist der Grundtenor der EKD-Handreichung so gehalten. Aus scheinbar objektiver Perspektive wird das Christentum als das Gute idealisiert, während dem Islam über weite Strecken lediglich das Negative zugeordnet wird, mit allen üblichen Stereotypen. Diese Umgangsweise ist nicht fair. Die evangelische Kirche würde sich doch auch zu Recht dagegen verwahren, wenn Muslime den Alkoholismus in „westlichen Gesellschaften“ als eine Folge des Christentums beklagen würden, weil beim Abendmahl Wein getrunken wird. Und genauso wäre es Unsinn, die häufigen Eifersuchtsmorde deutscher Männer für eine Folge der traditionellen christlichen Auffassung zu halten, dass Ehen erst mit dem Tod eines Partners enden dürfen. Die belehrende Grundhaltung des EKD-Textes provoziert geradezu Rechtfertigungs- und Selbstverteidigungsstrategien und verhindert so die nötige Selbstreflexion und Selbstkritik. Darüber hinaus verweigert sie ihrem Dialogspartner den nötigen Respekt, der einen echten Austausch auf Augenhöhe möglich macht. Ich mache aber die Erfahrung, dass auch viele Christen diese Handreichung kritisch sehen. In Wirklichkeit gelingt unser Dialog mit den Christen viel besser, als die Handreichung vermuten lässt.

h3. Martin Affolderbach

p(einleitung). Martin Affolderbach ist Islam-Referent der Evangelischen Kirche in Deutschland und Mitautor der umstrittenen Handreichung.

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Die Handreichung legt den Schwerpunkt auf eine Reihe von Fragen, die in den zurückliegenden Jahren öffentlich diskutiert wurden und noch werden, und will dazu die Positionen der Evangelischen Kirche in Deutschland darlegen. Man kann darin in der Tat die kritische Rückfrage herauslesen, ob im Gespräch zwischen Christen und Muslimen vielleicht manche kontroversen Probleme ausgeklammert und das eigene Profil nicht immer in ausreichendem Maße vertreten wurde. Umgekehrt wird sicherlich auch die Frage zu stellen sein, ob die zahlreichen Kooperationen und Initiativen auf lokaler Ebene mit der notwendigen Deutlichkeit und Klarheit sowohl innerhalb der Kirche als auch in der deutschen Öffentlichkeit das vermittelt haben, was sie an Lernfortschritten, Gemeinsamkeiten und Vertrauensbildung zwischen Muslimen und Christen erreicht haben. Es ist sicherlich nicht angemessen, der EKD zu unterstellen, dass sie der Meinung sei, der „Islam“ in seiner Gesamtheit würde Überzeugungen vertreten, die wir als evangelische Christen nicht akzeptieren können. Doch gibt es „im Islam“ Positionen, die Widerspruch herausfordern. Es ist legitim, diese zu benennen und das Gespräch darüber zu suchen. Es sollte nicht in Frage gestellt werden, dass die EKD gute Nachbarschaft will. Die zahlreichen Dialoge, Initiativen und Kooperationen sind ein anschaulicher und praktischer Beleg für diese Absicht. Wertschätzung und Zusammenarbeit würden Schaden nehmen, wenn Probleme und Differenzen ausgeklammert werden.

Artikelinformationen

Beitrag veröffentlicht am 1. Februar 2008 in der Rubrik Ethik, erschienen in der Ausgabe .

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