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Aktuell

1. März 2008

Wer hofft, gibt nicht klein bei

p(einleitung). Im Film ist alles möglich, auch dass jemand, der eigentlich tot ist, ein ganz neues Leben beginnt. Etwas Neues zu schaffen ist auch die Vision, mit der Barack Obama in Amerika zurzeit in vielen Menschen Hoffnung weckt.

!(rechts)2008/03/seite07_rechts.jpg(Pfarrer Bernd Durst leitet die Ton- und Bildstelle im Evangelischen Medienhaus Frankfurt.)!

Ein Mann wird erbarmungslos zusammengeschlagen. Mit letzter Kraft schleppt er sich zum Bahnhof, wo er bewusstlos zusammenbricht. Im Krankenhaus wacht er nicht mehr auf. Morgens um 5.18 Uhr stellt der Arzt den Tod fest. „Haben wir seine Personalien?“ fragt er. „Wir wissen nicht, wer er ist“, antwortet die Krankenschwester. Sie bedeckt den Toten mit einem Tuch und verlässt das Zimmer. Aber plötzlich setzt der vermeintlich Tote sich mit einem Ruck auf und reißt sich die Schläuche vom Körper.

Schnitt. Regungslos liegt eine Gestalt am Rand eines Hafenbeckens. Schnell wird klar: Das ist der Mann aus der Klinik. Er überlebt, aber er wird von nun an „Der Mann ohne Vergangenheit“ sein. Durch den brutalen Überfall hat er sein Gedächtnis verloren. Und sämtliche Papiere sind weg. Eigentlich ein Albtraum. Dem finnischen Regisseur Aki Kaurismäki gelingt jedoch ein kleines Kunststück: Ohne die Situation zu beschönigen zeigt er, welche Chancen in einem radikalen Neuanfang liegen können. Von den kleinen Glücksmomenten bis zum echten Happy End.

!(kasten)2008/03/seite07_unten.jpg(Der Verlust seines Gedächtnisses bietet dem „Mann ohne Vergangenheit“ in der von Aki Kaurismäki erzählten Geschichte die Chance auf einen Neuanfang. Der Film wird im Rahmen des 50-jährigen Jubiläums der Ton- und Bildstelle am Mittwoch, 14. Mai, um 20 Uhr im Mal Seh’n Kino, Adlerflychtstraße 6, gezeigt. | Foto: picture-alliance)!

Sicher nur eine Vision. Aber was heißt hier „nur“? Oft sind es Visionen, die etwas Neues in Gang setzen. Weil sie starre Vorstellungen aufbrechen und Grenzen überschreiten. Der berühmte Traum des amerikanischen Bürgerrechtlers Martin Luther King zum Beispiel, „dass meine vier kleinen Kinder eines Tages in einer Nation leben, in der sie nicht nach der Farbe ihrer Haut, sondern nach dem Gehalt ihrer Gesinnung beurteilt werden.“ In Amerika war das seinerzeit, Ende der 1960er Jahre, noch ein kühner Gedanke ohne Aussicht auf Verwirklichung.

Heute, vierzig Jahre später, macht dort ein Politiker mächtig Furore im Kampf ums Präsidentenamt – und seine Hautfarbe spielt dabei keine Rolle. Was zählt, ist sein leidenschaftlicher Appell an ein neues Wir-Gefühl, das Klassenunterschiede überwindet und keine Kriege braucht, um den Zusammenhalt zu sichern. Sein Motto „Change“, Veränderung, bewegt Menschen, die sich darin mit ihrer Sehnsucht nach tiefgreifender Änderung ihrer Verhältnisse wiederfinden. Wie die Wahl auch ausgehen mag: das Land und seine Gesellschaft werden wohl nicht mehr dieselben sein. Es wurden Hoffnungen geweckt. Und wer hofft, gibt nicht mehr so schnell klein bei.

In dem Film „Der Mann ohne Vergangenheit“ geht es nicht um die große Weltveränderung. Aki Kaurismäki zeigt einen Mikrokosmos, in dem man alles andere als Aufbruchstimmung und Solidarität erwartet. Doch weit gefehlt: Gerade an einem Ort, an dem es nur Außenseiter gibt, kann der Mann ohne Vergangenheit sein Leben neu erfinden. So entdeckt er zum Beispiel sein musikalisches Talent und bringt das altbackene Blasorchester der Heilsarmee in Schwung. Auch die große Liebe begegnet ihm. Sie wird ihn nicht mehr loslassen. Das Publikum gönnt es ihm von Herzen. Ein Film, aus dem man beschwingt nach Hause geht. Er macht Mut, sich auch im „richtigen Leben“ auf Neuanfänge einzulassen.

Nicht alles, was nach einem Ende aussieht, bedeutet auch das endgültige Aus – eine urchristliche Erfahrung. Unter dem Kreuz hätten die Jünger und Jüngerinnen Jesu verzweifeln können. Denn für seine Botschaft musste ihr Meister mit dem Leben bezahlen. Gott hat Jesus nicht verschont, aber er hat ihn nicht im Tod gelassen. Diese Erkenntnis gewinnt später auch Paulus, und ihm wird sofort klar: Das ist kein frommes Entrückungserlebnis, das bedeutet Arbeit.

Christen müssen nicht den Himmel auf die Erde holen. Aber sie haben die Aufgabe, Jesu Botschaft ernst zu nehmen. Zum Beispiel im Kampf gegen Mobbing, im Einsatz für die Rechte von Flüchtlingen – oder indem sie einfach mal nicht schweigen, wenn andere ausgegrenzt werden. Damit Menschen aufatmen, aufleben, ja sogar ein ganz neues Leben beginnen können. Eine Vision, die schon viele über Wasser gehalten hat.

p(autor). Bernd Durst

Artikelinformationen

Beitrag veröffentlicht am 1. März 2008 in der Rubrik Gott & Glauben, erschienen in der Ausgabe .

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