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1. Mai 2008

Melodien kann man tasten

p(einleitung). Martin Feuerstein will Notenschrift für Blinde bekannter machen

Manchmal, erzählt Martin Feuerstein, singt ihm sein Gemeindepfarrer am Telefon ein Lied vor. Dann merkt er sich die Melodie und spielt sie sonntags im Gottesdienst. Denn der 50 Jahre alte Organist der Friedensgemeinde im Gallus ist von Geburt an blind. Er kann Noten nur in der Blindenschrift, der Brailleschrift, lesen. Aber längst nicht jedes Musikstück ist in Braille-Notenschrift zu bekommen. So bleiben ihm manchmal nur sein gutes Gehör und das Gedächtnis, um seinen Beruf ausüben zu können.

!(rechts)2008/05/seite02_oben.jpg(Martin Feuerstein mit seinem Blindenhund beim Spaziergang im Gallus. Der Kirchenmusiker der Friedensgemeinde engagiert sich für die Verbreitung der Braille-Notenschrift. | Foto: Rolf Oeser)!

Martin Feuerstein wuchs in Miltenberg auf, wo er „die Musik quasi mit der Muttermilch aufgesogen“ hat, wie er erzählt. Seine Mutter war keine professionelle Musikerin, „aber sie hat gerne gesungen und viel Musik gehört“. Um ihn als Kleinkind zu beschäftigen, gaben seine Eltern ihm schon früh Kinderinstrumente, auf denen er schnell lernte, Melodien selbst zu spielen. Schon als kleiner Junge stand für Martin Feuerstein fest, dass die Musik einmal sein Leben bestimmen wird. In der ersten Klasse teilte er seinem Lehrer selbstbewusst mit: „Ich gehe nicht mehr in die Schule, ich werde sowieso Musiklehrer.“

In die Schule ist er dann natürlich doch gegangen. Zunächst auf die Blindenschule nach München, wo er erstmals das Musizieren mit Brailleschrift lernte – bis dahin kannte er Musikstücke lediglich vom Auswendiglernen und nach Gehör. Auf ein paar Umwegen und mit einigen Hindernissen gelang es ihm schließlich, seinen Traum zu verwirklichen und am Münchner Richard-Strauss-Konservatorium die Ausbildung als Organist und Musiklehrer abzuschließen. Vor rund zehn Jahren kam Martin Feuerstein dann nach Frankfurt und ist seither Organist an der Friedenskirche.

Immer wieder fragen ihn Menschen: „Wie lernst Du eigentlich Deine Lieder?“ Viele wissen offenbar gar nicht, dass es auch eine Notenschrift für blinde Menschen gibt. Selbst unter Musikerkollegen ist dieses Wissen nicht sehr verbreitet. Die Bekanntmachung der Braille-Notenschrift liegt Martin Feuerstein deshalb am Herzen. Zusammen mit anderen hat er zum Thema eine Internetseite gestaltet. Unter www.blindennotenschrift.de finden Interessierte alles Wissenswerte: „Wer ein blindes Chormitglied hat oder einen blinden Musikschüler oder bestimmte Musikstücke in Brailleschrift sucht, kann sich dort informieren.“

Zwar ist das Musizieren auf diese Weise immer noch komplizierter als für Sehende, denn um ein Musikstück auf einem Instrument spielen zu können, braucht man in der Regel beide Hände. Deshalb müssen blinde Musikerinnen und Musiker die Melodie zunächst in Blindennotenschrift ertasten und dann auswendig lernen. Aber das ist immer noch einfacher, als allein auf das Gehör zu setzen.

Feuerstein bedauert es, dass blinde Kinder die Brailleschrift heute wieder seltener als früher lernen. Denn sie werden in Schulen immer öfter gemeinsam mit sehenden Kindern unterrichtet, und da steht Blindenschrift nicht auf dem Lehrplan. Den gemeinsamen Unterricht begrüßt auch Martin Feuerstein, weil er weniger Ausgrenzung bedeutet. Schade sei nur, wenn deshalb blinde Kinder bestimmte Techniken oder Fähigkeiten, die für sie in ihrem Alltag hilfreich sind, nicht mehr erlernen würden.

p(autor). Sandra Hoffmann

Artikelinformationen

Beitrag veröffentlicht am 1. Mai 2008 in der Rubrik Menschen, erschienen in der Ausgabe .

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