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Aktuell

1. April 2009

„Immer mehr“ – das klappt nicht

p(einleitung). Der Medienkritiker Neil Postman fragte vor gut einem Jahrzehnt: „Amüsieren wir uns zu Tode?“ Angesichts der Finanz- und Wirtschaftskrise muss diese Frage wohl umformuliert werden: „Konsumieren wir uns zu Tode?“

Alle Wirtschaftswissenschaftler sind sich einig: Einzig der Konsum hilft der Wirtschaft wieder auf die Beine. Konsum bedeutet Absatz. Und Absatz bedeutet Gewinn und Arbeitsplätze. Gewinn bedeutet Investition, also Konsum, und so weiter. Sicher, eine Renditeerwartung von 25 Prozent ist unmoralisch. Aber warum nicht 10, 12 oder 15 Prozent? Alle haben bei dem weltweiten Monopoly mitgemacht – auch die Kirchen. Die einen mehr, die anderen weniger.

!(kasten)2009/04/seite04_oben.jpg(Noch ein „Konsumtempel“ mehr in der Stadt – Ende Februar eröffnete in Frankfurt mit großem Andrang von Neugierigen das „MyZeil“. Ob’s gegen die Krise hilft, wird sich zeigen. | Foto: Rolf Oeser)!

Konsum, Produktivitätssteigerung und Rendite sind das Schmiermittel dieses Wirtschaftssystems, das sich in den vergangenen Jahren ungebändigt entfalten durfte. Die „Fesseln“ der sozialen Marktwirtschaft hatte diese Art globalisierter Raubtierkapitalismus längst abgestreift. Ohne Scham ging man auf Profitjagd. Das Mehr-Haben-Wollen ist, wenn es auch moralisch nicht hoch im Kurs steht, so doch die eigentliche Triebfeder des Kapitalismus.

Und nun kommen wieder die alten Rezepte. Konjunkturprogramme sollen den Konsum anschieben. Bei den Autos funktioniert es offenbar, und dass Schulen renoviert werden und Krabbelstuben entstehen, ist sicher gut und seit langem überfällig. Doch ein Wirtschaftssystem, das jedes Jahr eine Steigerung des Bruttoinlandsprodukts benötigt, läuft sich auf lange Sicht tot. Der Verbrauch an Wasser, an Energie, an Fläche, an Nahrungsmitteln kann für eine stetig weiter wachsende Weltbevölkerung nicht gedeckt werden. Jedes Jahr mehr, das bedeutet – trotz aller technologischen Fortschritte – eben immer auch ein Mehr an Ressourcenverbrauch. Auf diese Weise ist keine Gerechtigkeit in einer näher zusammenrückenden Welt herzustellen.

Übrigens war der Auslöser der derzeitigen Finanzkrise gerade die Ankurbelung des Konsums in den USA durch sehr, sehr niedrige Zinssätze. Es muss sich erst noch zeigen, ob Konjunkturprogramme und Zinssenkungen wirklich helfen, oder ob sie nicht im Moment ihrer Wirksamkeit bereits der Anfang der nächsten Krise sind. Immerhin muss man der Politik zugute halten, dass es im derzeitigen System keine Alternative zu Konjunkturprogrammen gibt, auch wenn man sie angesichts der unbestritten heranziehenden Klimakatastrophe hätte ökologischer akzentuieren müssen.

Doch gilt: Wenn die Menschheit langfristig in Frieden leben will, muss sie um der Gerechtigkeit willen menschliche Gier eindämmen und den Raubtierkapitalismus zähmen.

p(autor). Kurt-Helmuth Eimuth

h2. Hilft Konsumieren aus der Krise?

h3. Gisa Luu (57), Lehrerin

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Mir ist es wichtig, bewusst zu konsumieren. Wo kommen die Produkte her und wie werden sie hergestellt? Wenn dies sozialverträglich und ökologisch ist, die Produkte nicht um die halbe Welt geflogen werden, sondern den Markt in der Region stärken, dann kann Konsum aus der Krise helfen. Produktion um jeden Preis, wie Waffenexporte, hilft nicht. Konsum ohne Verantwortung schadet nur. Wir müssen fragen: Was brauchen die Menschen wirklich? und dürfen nicht nur wirtschaftliche Abläufe anschauen. Ich zum Beispiel bin eine „Mode-Ignorantin“. Ich weiß selber, was ich brauche, und will mir das nicht von der Werbung einreden lassen. Vor 18 Jahren habe ich mir einen sehr schönen Pullover gekauft. Den trage ich heute noch gerne. Und es macht mir große Freude, mit Schülerinnen und Schülern verantwortliches Konsumieren einzuüben.

h3. Günter Thurmann (50), Kfz-Mechanikermeister

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Wir merken in der Autowerkstatt schon, dass es ruhiger geworden ist, und das höre ich auch von anderen. Wenn die Kunden mit ihren Autos in die Werkstatt kommen, dann immer später – das normale Wartungsintervall von einem Jahr hält kaum noch jemand ein. Das ist natürlich kurzsichtig, denn wenn man mit der Inspektion zu lange wartet, werden Reparaturen oft teurer oder sind gar nicht mehr möglich. Aber klar: Die Kunden setzen Prioritäten oder geben ihr Geld vorsichtiger aus. Wer Angst haben muss, seinen Arbeitsplatz zu verlieren, und vielleicht die Krise überbrücken muss, gibt seinen Lohn nicht für einen neuen Fernseher oder ein neues Auto aus. Wenn das Einkommen sicher ist, sitzt das Geld lockerer in der Tasche. Aber klar ist auch: Konsum kurbelt die Wirtschaft an. Deshalb sollte man auf keinen Fall alles schwarzreden.

h3. Sonja Burk (40), Buchherstellerin

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Ich bin eine große Freundin von Nachhaltigkeit. Und was da zur Zeit passiert, ist nicht nachhaltig. Die Milliarden, die in die Banken und Unternehmen gepumpt werden – gegen die Krise mag das kurzfristig helfen, aber das sind ja nur Bürgschaften ohne echten Gegenwert. Da hat man doch Angst vor dem großen Knall, es wäre ja nicht das erste Mal in der Geschichte. Als Mutter von kleinen Kindern finde ich außerdem, dass man im Grunde nicht viel braucht. Essen, Trinken, ein Dach über dem Kopf und vor allem viel Zeit füreinander. Manche müssen vielleicht ihre Ansprüche herunterschrauben. Ich halte aber auch nichts davon, wie verrückt zu sparen. Vielleicht ist das ganze Geld irgendwann nichts mehr wert, so wie in der Krise in Argentinien vor zehn Jahren. Da hat ein kluger Mann gesagt: Gespartes Geld sind lauter verpasste Möglichkeiten.

h3. Frank Werner (28), Feinmechaniker

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Ich sehe das alles sehr kritisch und weiß, dass die geplanten konjunkturfördernden Maßnahmen der Regierung, also das Hilfspaket, die Steuer- und Abgabensenkungen, meinen Konsum sicherlich nicht ankurbeln werden. Ich kann zur Abschwächung der Krise nichts beitragen. Ein eigenes Auto ist für mich utopisch. Selbst wenn ich ein neun Jahre altes Auto hätte, so dürfte ich als Hartz IV-Empfänger die Abwrackprämie gar nicht nutzen. Da ich alleinstehend bin und keine Kinder habe, helfen die anderen Entlastungen ebenfalls nicht. Im Gegenteil: Ich denke, dass die Preise bald wieder anziehen und mir dann noch weniger bleibt. Auch befürchte ich, dass sich meine Situation weiter verschlechtern wird. Meine Chancen, als ausgebildeter Feinmechaniker eine Tätigkeit auf dem ersten Arbeitsmarkt zu finden, sind jetzt wohl endgültig vorbei.

Artikelinformationen

Beitrag veröffentlicht am 1. April 2009 in der Rubrik Ethik, erschienen in der Ausgabe .

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