Ein neues Hospiz eröffnet der Evangelische Regionalverband Frankfurt zum Jahresende: Ein Gespräch mit Geschäftsführerin Dagmar Müller und der Krankenschwester Adelheid von Herz über das Sterben und die letzte Lebensphase.
Frau Müller, Frau von Herz: Auf welchen Grundlagen haben Sie das pflegerische Konzept für das Hospiz entwickelt?
Von Herz: Die letzte Lebenszeit wird normalerweise medizinisch und pathologisch definiert: Da sind Menschen, die unheilbar krank sind, die an allen möglichen Symptomen leiden. Wir sagen hingegen, dass es sich um eine natürliche Lebensphase handelt.
Weshalb ist diese Unterscheidung wichtig?
Von Herz: Wenn man das Sterben nur medizinisch, also als Krankheit betrachtet, wird es oft mit der Vorstellung von Schuld verbunden. Der Patient fragt sich, ob er etwas falsch gemacht hat, dass er jetzt sterben muss. Der Arzt oder die Pflegerin überlegen, ob sie einen Fehler gemacht oder etwas übersehen haben. Dabei ist aus dem Blickfeld geraten, dass das Sterben eine normale Phase ist, die uns allen bevorsteht.
Müller: Das ist vielleicht einer der Vorteile eines Hospizes: Wer hierher kommt, weiß bereits, dass er sterbenskrank ist und eine begrenzte Lebenszeit hat. In einem Krankenhaus steht noch der Gedanke im Vordergrund, dass medizinisch geholfen wird und die Chance besteht, das Leben noch einmal zu verlängern. Von Herz: Natürlich will niemand sterben. Aber wenn wir das immer gleich als Versagen interpretieren, kommt noch eine kulturelle Sicht auf die Dinge hinzu.
Das heißt, wir machen uns diese letzte Lebensphase schwerer, als sie sowieso schon ist?
Von Herz: Ja. Viele Menschen äußern einen Sterbewunsch, sie sagen: „Das hat ja alles keinen Sinn mehr.“ Ich frage dann nach, was genau es ist, und dann kommt als Antwort: „Ich bin Ihnen doch nur eine Last.“ Es sind also nicht Schmerzen oder medizinische Dinge, die sie belasten, sondern es ist im Grunde genommen der Verlust an Selbstbestimmung. Und das ist nun einmal kulturtypisch: In unserer Kultur ist Autonomie und Selbstbestimmung ein sehr hoher Wert. In der letzten Phase des Lebens verliert man diese Fähigkeiten, also fühlen sich die Menschen unwert.
Müller: Das ist ähnlich wie in Pflegeheimen, wo es ja noch gar nicht ums Sterben geht. Auch dort ist es der Verlust an Autonomie, der viele abschreckt. Deshalb wollen sie nicht ins Pflegeheim: Es ist ein Symbol dafür, dass man auf Hilfe anderer angewiesen ist.
Was können Sie dagegen tun?
Von Herz: Einmal wurde ein Patient auf einer Liege gebracht, begleitet von einer Angehörigen und den Rettungssanitätern. Ich fragte ihn, ob er vielleicht selbst von der Liege zum Bett gehen will, aber die Ehepartnerin sagte sofort: „Um Gottes willen, das geht nicht, der kann nicht laufen.“ Und die Rettungssanitäter: „Kein Problem, wir machen das schon“, und sie rollten sofort die Trage ans Bett. Ich hatte aber bemerkt, dass der Patient das Angebot sehr aufmerksam wahrgenommen hatte. Er konnte übrigens tatsächlich nicht gehen oder stehen, aber das Angebot hat ihn interessiert. Allerdings stand die Trage nun schon am Bett, und seine Chancen, sich selbst zu beteiligen, wurden immer geringer. Aber als dann alle mit etwas anderem beschäftigt waren, rollte er sich selbstständig von der Trage ins Bett. Er hat also die Möglichkeiten, die er hatte, wahrgenommen. Das Problem ist nicht so sehr, dass die Menschen etwas nicht mehr können, sondern dass ihnen von ihrer Umgebung auch diejenigen Fähigkeiten abgesprochen werden, die sie noch haben.
Müller: Das hat natürlich auch mit den Abläufen in Krankenhäusern zu tun. Da muss es immer schnell gehen. Wir gehen hingegen erst einmal davon aus, dass vieles möglich ist und wir den Bewohnern etwas zutrauen können.
Von Herz: Aber so eine neue Sichtweise muss man richtig trainieren. Wir sind ja doch alle so sozialisiert, dass wir sterbende Menschen aus einer defizitären Sicht wahrnehmen. Wir glauben, wir tun ihnen etwas Gutes, wenn wir ihnen möglichst alles abnehmen. Ich selbst habe erst umdenken gelernt, als ich Anfang der neunziger Jahre Aidspatienten betreute. Die ließen nämlich nicht zu, dass ich sie einfach „bepflegt“ habe, sondern sie haben sich mit Händen und Füßen gegen Fremdbestimmung gewehrt.
Kann soviel Selbstbestimmung nicht auch zu Konflikten zwischen Pflegepersonal und Bewohnern führen?
Von Herz: Ja, natürlich. Mit so einer veränderten Haltung geben wir den Menschen neue Möglichkeiten, sich auszuleben, und diese Möglichkeiten nehmen sie auch wahr. Es ist doch völlig normal, dass Menschen, die sterben müssen, auch mal aggressiv sind. Manche sind zum Beispiel wütend auf uns Pflegerinnen, weil wir überleben, weil wir gesund sind, weil es uns gut geht. Und es ist ja auch wirklich so: Wir sind gesund, und sie müssen sterben. Und dabei fühlen wir uns auch noch ganz toll, weil wir anderen helfen. Es ist ein sehr vielschichtiges Feld.
Ähnlich geht es ja sicher auch den Angehörigen.
Müller: Die Familiengeschichte ist in der letzten Lebensphase sehr präsent, da kommt vieles an Erinnerungen hoch. Bei der Pflege sind wir immer nicht nur mit den Kranken konfrontiert, sondern auch mit ihrem sozialen Umfeld. Von Herz: Ich ermutige die Angehörigen, dass sie Vertrauen zu dem oder der Sterbenden haben können. Sie oder er weiß genau, was sie braucht und was sie will. Oft sagen Angehörige: „Sie kriegt doch nichts mehr mit.“ Aber Menschen sind bis zum Tod wahrnehmungsfähig. Sie sind nur nicht mehr in der Lage, sich wie gewohnt zu äußern. Aber es gibt Hinweise, etwa Körpersignale wie Veränderungen in der Muskelspannung, an der Atmung, am Hautzustand. Leider ist es aber so, dass viele Angehörige ihre schwerkranken Familienmitglieder gar nicht mehr anfassen.
Müller: Das hat natürlich auch damit zu tun, dass es ein schwieriger Verabschiedungsprozess ist. Angehörige sind da zunächst mit sich selbst und ihren Gefühlen beschäftigt, sollen aber gleichzeitig ihren Partner, Mutter, Vater, Geschwister betreuen. Und sie haben nicht wie wir im Pflegeteam eine Ausbildung und viel Erfahrung im Umgang mit sterbenden Menschen.
Hintergrund: Evangelisches Hospiz startet im November
Ein evangelisches Hospiz soll im November in der Rechneigrabenstraße den Betrieb aufnehmen. Bis zum Sommer war hier das „Evangelische Hospital für Palliative Medizin“ untergebracht, in dem schwerkranke Menschen medizinisch betreut wurden und das nun im Ginnheimer Markuskrankenhaus weitergeführt wird. Anders als in einem Krankenhaus steht in einem Hospiz nicht die medizinische Behandlung, sondern der bewusste Umgang mit dem Sterben im Mittelpunkt.
Pfarrerin Esther Gebhardt, die Vorstandsvorsitzende des Evangelischen Regionalverbandes Frankfurt, sieht in der Begleitung der letzten Lebensphase „ein Herzensanliegen der Kirche“. Schon vor 13 Jahren habe man in Frankfurt ein Hospiz gründen wollen, aber damals sei das nicht finanzierbar gewesen: Erst jetzt habe der Bundestag die Weichen dafür gestellt, dass Träger von Hospizen ihre Kosten zu 90 Prozent durch Kranken- und Pflegekassen sowie staatliche Zuschüsse refinanzieren können.
Die restlichen 10 Prozent der laufenden Kosten – rund 110000 Euro pro Jahr – werden aus Kirchensteuern bezahlt. Für zusätzliche Ausgaben will ein Förderverein noch einmal dieselbe Summe an Spenden einwerben. Knapp eine Million Euro investierte der Regionalverband zudem in den Umbau des Hauses. Das Ambiente soll weniger an ein Krankenhaus als an ein Wohnumfeld erinnern. Mit 13 Plätzen ist das Hospiz eines der größeren Häuser dieser Art. Neben den Pflegekräften ist dort auch ein Seelsorger fest angestellt.
Zusätzlich gibt es einen festen Stamm von Ehrenamtlichen, hierfür werden noch weitere Interessierte gesucht. Wer in der direkten Sterbebegleitung eingesetzt werden möchte, bekommt dafür zunächst eine spezielle Ausbildung. Es gibt aber auch Möglichkeiten, sich anderweitig zu engagieren, etwa in der Küche oder an der Pforte. Informationen bei Pfarrer Reinhold Dietrich, Telefon 069 95508914.