In Frankfurt ist jedes vierte Kind von Armut betroffen oder bedroht, auch wenn diese oft verdeckt wird. Niemand outet sich gern als arm. Kinderarmut ist ein Skandal, eine „strukturelle Sünde“, wie man es theologisch ausdrückt. Dass Gott selbst als Kind und in Armut in diese Welt kam, verpflichtet zu sozialem Engagement.
Endlich soll es losgehen: Alle freuen sich schon lange auf die Kinderfreizeit im Spessart. Mal raus aus dem Alltag, etwas Neues in Gemeinschaft erleben. Die Teamerinnen und Teamer von „hin und weg“, einem Anbieter evangelischer Jugendreisen, haben alles vorbereitet, einen Infobrief mit einer Packliste an die Eltern geschickt. Doch bei Sarah und Tom fällt ihnen auf: Sie haben zu wenig zum Anziehen im Gepäck, die Regenjacke ist nicht wasserdicht, und Taschengeld haben sie auch nicht dabei.
So sieht sie aus, die Armut von Kindern auch in einer reichen Stadt wie Frankfurt. Oft wird heftig darüber diskutiert, ob es Armut in Deutschland überhaupt gebe. Sicher gibt es kaum die absolute Armut, wie sie in Ländern der so genannten Dritten Welt begegnet, wo unvorstellbar viele Menschen von einem Dollar pro Tag überleben müssen. Doch relative Armut gibt es auch bei uns, und allzu oft trägt die Armut ein Kindergesicht.
Doch was ist Kinderarmut überhaupt? Sind Kinder wie Sarah und Tom einfach deshalb arm, weil sie in einer einkommensarmen Familie aufwachsen, die vielleicht soziale Transferleistungen wie Hartz IV bezieht? Immerhin lebt fast ein Viertel der unter 15-Jährigen in Frankfurt von gesetzlichen Sozialeistungen, wobei große Unterschiede zwischen den einzelnen Stadtteilen bestehen. Doch dies ist nur ein Punkt. Die Heranwachsenden sind oft nicht nur materiell, sondern auch kulturell unterversorgt, haben schlechtere Bildungschancen. Pädagoginnen in Kindertagesstätten und Kinderhäusern, Lehrer in Schulen beobachten auch immer wieder, dass Kinder aus armen Haushalten nicht so gesund sind wie Kinder, deren Eltern genug Geld haben. Ihre Entwicklungsbedingungen sind beeinträchtigt, sie leiden unter Beziehungs- und Perspektivarmut.
Die Kirchen thematisieren diesen Skandal schon lange. Sie tun das, weil in der Bibel der Glaube und die soziale Frage aufs Engste miteinander verwoben sind. Gott trifft seine Option für die Armen. Die Erzählung vom Auszug des Volkes Israel aus der Sklaverei in Ägypten zeigt, was Gott mit seinem Volk vorhat. Gott befreite seine Menschen aus der Knechtschaft und schenkte ihnen eine Perspektive frei von Unterdrückung. Propheten wie Amos und Jesaja prangerten später soziale Missstände an und wandten sich gegen einen Gottesdienst, in dem die Reichen die Augen vor dem Elend der Armen verschlossen.
Mit dem Kind in der Krippe spinnt Gott diesen roten Faden weiter. In der Adventszeit bereiten sich Christinnen und Christen auf die Ankunft Gottes vor – in Gestalt eines mittellosen und wehrlosen Kindes.
Die Armutsforscherin Gerda Holz stellt fest, dass Armut das größte Risiko für die kindliche Entwicklung darstellt. Kinderarmut sei strukturell angelegt und nicht in erster Linie die Folge individuellen Fehlverhaltens von Eltern. Theologisch gesprochen ist es eine Form von „struktureller Sünde“ – also von Strukturen, die Ungerechtigkeit und Armut produzieren.
Wie alle Jahre wieder wird es auch in diesem Jahr Weihnachten werden. Die Bedeutung dieses Festes ist in unserer Gesellschaft durchaus noch bekannt: Gott erinnert mit der armseligen Geburt seines Sohnes an den Zusammenhang von Glaube und oft harter Realität, von Spiritualität und sozialem Engagement. Beides ist nicht voneinander zu trennen. Dieses Kind ist das Geschenk Gottes an die Welt – und kein Armutsrisiko.