Über den großen Einfluss des Pietismus
Heutzutage weiß kaum jemand, was „Pietismus“ bedeutet. Und wenn, wird es oft mit fundamentalistischer Engstirnigkeit und Frömmlerei gleichgesetzt. Zu kurz gedacht, findet Dorothee Markert. Für ihr Buch „Lebenslänglich besser“ hat sie den Einfluss des Pietismus auf die politische Kultur in Deutschland untersucht und Interviews mit Frauen und Männern geführt, die in diesem Milieu aufgewachsen sind, sich aber überwiegend später davon distanziert haben. Ihre These ist, dass der Einfluss des Pietismus sehr viel größer gewesen sei, als bisher angenommen.
Geburtsort der Bewegung war Frankfurt, wo der Gründungsvater des Pietismus, Philipp Jakob Spener, zwanzig Jahre lang oberster Pfarrer war. Von hier aus breitete sich das pietistische Weltbild seit dem 17. Jahrhundert überall in Deutschland aus – und zwar nicht nur innerhalb des Protestantismus, wie Markert zeigt. Speziell im Sozialismus und in der Arbeiterbewegung seien viele ursprünglich pietistische Lebenseinstellungen und Ansichten aufgenommen worden: zum Beispiel, dass man nicht verschwenderisch oder faul sein darf, dass man sich unermüdlich dafür einsetzen muss, die Welt zu verbessern, dass persönliche Befindlichkeiten und Wünsche hinten anzustehen haben.
Eine weitere Parallele sei der schmale Grat, der aufrechtes Engagement für „die Sache“ vom Fundamentalismus unterscheidet. Es geht der Autorin nicht darum, die pietistische Haltung pauschal zu kritisieren, sondern sie arbeitet heraus, wie eng die positiven und negativen Aspekte beieinander liegen. Das spiegelt sich auch in den Interviews, denn die Befragten finden bei aller Kritik an der Enge ihrer pietistischen Erziehung auch positive Aspekte: Etwa dass man zuhause sehr sozial eingestellt war und Egoismus und Protzerei nicht geduldet wurden.
Dorothee Markert: Lebenslänglich besser. Unser verdrängtes pietistisches Erbe. BOD 2010, 216 Seiten, 16,90 Euro.
„Evangelisches Frankfurt“ verlost unter allen Interessierten zwei Exemplare. Einfach E-Mail, Fax oder Postkarte schicken.
Nachtrag: Gewonnen haben Eleonore Fuhrmann und Friedrich Keller.