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Von – 28. November 2011

Der Gott der anderen

In Frankfurt gibt es inzwischen viele christliche Gemeinden, deren Mitglieder aus anderen Teilen der Welt kommen. Ihr Glaube unterscheidet sich von dem der traditionellen deutschen Gemeinden nicht nur durch Sprache oder Musik, sondern oft auch in den theologischen Inhalten.

Ursula Schoen ist Dekanin im Dekanat Mitte-Ost. Foto: Ilona Surrey

Rödelheim in der Weihnachtszeit: In der Cyriakuskirche zeigt eine Ausstellung Krippen aus aller Welt – von Taschenformaten bis zu lebensgroßen Figuren, von Papier und Pappe bis zu wertvollen tropischen Hölzern. Am meisten überraschte eine Krippe aus Grönland, bei der die Heilige Familie in echte Felle gekleidet ist. Die Geburt Jesu ist nicht nur eine stimmungsvolle deutsche Weihnachtsfeier, sie wirkt in alle Kontinente und Kulturen hinein und in ihnen weiter. Da ist das schwarze Kind in der Krippe neben dem uns vertrauten „holden Knaben“ von zarter Blässe und seiner Mutter Maria, der schönen Frau im blauen, edel fallenden Mantel.

Jede einzelne dieser Darstellungen vermittelt auf ihre Weise die Botschaft: Unser Gott ist kein ferner Gott. Die Eingangsworte aus dem Johannesevangelium „Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns?…“ haben sich bewahrheitet. In Jesus Christus hat Gott in dieser Welt menschliche Gestalt angenommen und ist uns nahe gekommen. Er teilt unseren je eigenen Alltag, den der Armen und Schutzlosen – wie an einer aus wenigen Holzstücken roh gebastelten Krippe zum Ausdruck kommt – und den Alltag von denen, die tüchtig und tätig sind, wie die Krippe einer provenzalischen Dorfgemeinschaft mit unterschiedlichen Berufsgruppen zeigt.

Die Frage, was christlicher Glaube eigentlich ist und worin er sich ausdrückt, lässt sich von den kulturellen Traditionen der Menschen, von den politischen und sozialen Realitäten ihres Landes oft nur schwer lösen. Die Kirchen der „Weißen“ in Südafrika etwa waren aufgrund der Apartheit lange Zeit von denen der „Schwarzen“ streng getrennt. In Deutschland ist ohne das Lied „O du fröhliche?…“ kein richtiger Weihnachtsgottesdienst denkbar. Ohne Singen, Lachen und Klatschen ist für viele afrikanische Christen und Christinnen ein Gottesdienst wiederum kein überzeugendes Gotteslob.

Von Afrika und Asien bis Skandinavien: Auch die christlichen Gemeinden in Frankfurt sind durch den Zuzug von Menschen aus anderen Ländern vielfältiger geworden. Foto: Thomas Rohnke

In der Geschichte der christlichen Mission wurde die Vermittlung des Glaubens mit der Vermittlung westlicher Zivilisation gleichgesetzt. So führten Missionare in den neu gegründeten Gemeinden in Namibia Kleidung europäischen Stils ein. Andere verboten Trommeln im Gottesdienst. Die so genannten „Missionskirchen“, die jungen Kirchen aus Afrika oder Asien, waren selten auf internationalen ökumenischen Konferenzen vertreten, ihre Pfarrer wurden in Europa ausgebildet und die Gemeinden von Europa aus von den Missionswerken geleitet. Erst in Folge des Zweiten Weltkriegs setzte sich langsam die Einsicht durch, dass der christliche Glaube viele Gravitationszentren in der Welt hat, von Basisgemeinden in Südamerika über die Insel Iona, auf der schottische Mönche leben.

Viele kennen noch die Zeit, in der der einzige Unterschied ­zwischen Gemeinden in der Frage des Bekenntnisses lag: römisch-katholisch oder evangelisch. Heute entdecken wir – auch hier in Frankfurt – die Vielfalt der christlichen Glaubens- und Lebensformen wieder. Nicht allein die Sprache und Herkunft sind unterschiedlich. Auch zentrale theologische Fragen wie die Rolle des Gebetes, die Akzeptanz von gleichgeschlechtlichen Partnerschaften oder die Frage nach der Existenz des Bösen in der Welt werden sehr unterschiedlich beantwortet.

Das löst bei vielen Menschen Ängste vor dem Fremden und Ungewohnten aus. Aber christlicher Glaube entlässt uns nicht daraus, die eigenen Lebensformen zu hinterfragen und ein faires und achtungsvolles Miteinander zu gestalten. So sind wir alle herausgefordert, nach Wegen der Begegnung und des Dialogs zu suchen. Denn Gott ist nicht nur „unser Gott“ sondern immer auch der „Gott der anderen“.

Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 28. November 2011 in der Rubrik Gott & Glauben, erschienen in der Ausgabe .

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Ursula Schoen ist Dekanin im Dekanat Mitte-Ost.