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Von – 5. Februar 2012

Kleine Sekten und ihre „Gurus“ sind eine unterschätzte Gefahr

Mit den aktuellen Trends neuer kleinen Sekten in Deutschland befasste sich am Donnerstag eine Soirée im Haus am Dom. Allein in Hessen soll es 300 solcher Gruppierungen geben und in Bayern sogar 600, sagte Thomas Wagner vom Referat für Weltanschauungsfragen im Bistum Limburg. Die Veranstaltung fand in Kooperation mit SINUS (Sekten-Information und Selbsthilfe/Betroffenen-Initiative Hessen e.V.) statt.

Diskutiert wurde das Thema am Beispiel eines „Gurus“ namens Gottfried Brensink, der in Inzell „Lebenshilfe“ anbietet und exemplarisch die aktuellen Gefahrenpunkte neuer religiöser Gruppen zeigt. Zu Gast war der Unternehmer Joachim Huessner, der in seinem autobiografischen Roman „Ein Weg hinters Licht“ schildert, wie seine Frau Petra Schwalb in einer Lebenskrise den Rat Brensinks suchte, ihm „hörig“ wurde und schließlich Selbstmord begang.

„Dass ich irgendwann einmal in die Situation kommen würde, ein Buch zu schreiben, hätte ich mir vor ein paar Jahren nicht vorstellen können“, erzählte Huessner. „Aber das Schicksal meiner Frau und die damit verbundenen Erlebnisse machten mir klar, dass es wichtig und notwendig ist, auf eine Gefahr aufmerksam zu machen, die in den Köpfen der Menschen in unserem Land nicht existent ist.“ Er wolle Menschen für die Gefahr sensibilisieren und dazu aufrufen, wachsam hinzusehen, wenn sie sich auf esoterische Themen einlassen. Niemand solle sagen: “Mir könnte so etwas nicht passieren”.

Am Ende ihres Irrweges nahm Petra Schwalb sich 2009 das Leben. Zuvor hatte sie ihre Familie verlassen und war in die kleine Sektengemeinschaft gezogen. Ihre gesamten Ersparnisse, die ihr Mann mit rund 35.000 Euro bezifferte, hatte sie für Seminare und Einzelmeditationen bei Gottfried Bresink verbraucht.

„Frau Schwab ist keine Ausnahme“, betonte Pfarrerin Annette Kick, von der Arbeitsstelle für Weltanschauungsfragen in der Evangelischen Kirche Württemberg. Gerade Frauen in Umbruchphasen fühlten sich „von den neuen Heilsbringern angezogen“. In der öffentlichen Wahrnehmung stünden die Gefahren von Sekten, Heilern und Gurus nicht im Vordergrund, kritisierte Kick, doch der psychosoziale und spirituelle Markt boome und werde zugleich immer unübersichtlicher. Hier agierten viele selbsternannte Heiler und Heilerinnen und machten „gute Geschäfte“.

Annette Kick sprach von einem „religiösen Analphabetismus“, der es den vielen Gurus leicht mache, Anhängerinnen und Anhänger zu finden: „Sie versprechen Antworten“. Der Prozess in den persönlichen Verfall verlaufe für die Betroffenen und Angehörigen meist schleichend, oft lebten sie lange Zeit in zwei Welten.

Die Frage nach dem „Warum“ konnte an diesem Abend nur annähert beantwortet werden. „Es gibt ein tiefes Bedürfnis nach Wahrgenommen werden und nach einer gelebten Religiosität beziehungsweise Spiritualität“, vermutet Kick. Unbeantwortet blieb vorläufig auch eine aus dem Publikum immer wieder gestellte Frage: Wieso erreicht das Angebot der Kirchen nur spärlich gerade diese gefährdeten Personengruppen?

Die SINUS Sektenberatung bietet Betroffenen, Aussteigern und Angehörigen seit über zwanzig Jahren durch Beratung und Information Unterstützung und Hilfe zur Selbsthilfe an.

Die Telefon-Hotline ist mittwochs von 19 Uhr bis 21 Uhr unter 0700 74687336 zu erreichen, persönliche Gespräche können vereinbart werden. Kontakt über sinussekteninfo@sinus-ffm.de oder www.sinus-ffm.de.

Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 5. Februar 2012 in der Rubrik Stadtkirche, erschienen in der Ausgabe .

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Kommentare zu diesem Artikel

  • Lieve Van den Ameele schrieb am 6. Februar 2012

    Wer wissen will, wie „es“ funktioniert findet hier gute Hinweise: http://en.wikipedia.org/wiki/Thought_Reform_and_the_Psychology_of_Totalism
    Nicht jede Gruppe erfüllt alle Kriterien, aber wenn auch nur eien oder ein paar davon erfüllt sind, kann man/frau mit Fug und Recht von „sektiererische Tendenzen“ sprechen. Und dafür muss man/frau gar nicht erst auf schon etablierte kleine oder große Sekten schauen! Die Werbung versteht es z.B. auch wunderbar. die Sprache zu „laden“.
    Ferner halte ich es für ein Irrtum, anzunehmen, dass es lediglich um „Wahrgenommen werden und gelebte Religiosität“ geht. Das ließe sich zumindest in Teilen der etablierten Kirchen und Religionen auch finden. Es ist aber in der Tat das Argument schlechthin, dass von Sekten selbst eingebracht wird. Es geht vielmehr um eine Sehnsucht nach Beziehung, nach dazu gehören, nach geliebt werden – hoffentlich, so, wie man/frau ist – und wenn der angebotene Weg dahin, über eine „neue Spiritualität“ geht, dann ist man/frau bereit, auch diesen Weg zu gehen. Spätestens das „dazu gehören und geliebt werden – so, wie man/frau ist“ erweist sich dann als Irrtum! Denn es geht immer darum, dass der beitretende Mensch sich „nur in der richtigen Richtung zu ändern braucht“.
    Warum „das Angebot der Kirchen nur spärlich gerade diese gefährdeten Personengruppen“ erreicht? Erstens halte ich es für problematisch „gefährdete Personengruppen“ rausdeuten zu wollen. So etwas gibt es nicht. Man/frau mache sich besser klar, dass es jede/jedem irgendwann mal treffen kann – niemand weiß, was im Leben noch kommt. Stigmatisieren wird der Sache und vor allem den Menschen nicht gerecht. Zweitens, vielleicht ist es eigentlich etwas positives, dass das Angebot der Kirchen nicht so einschlägt, wie die Sekten. Vielleicht heißt es vor allem, dass die Kirchen im allgemeinen nicht agieren nach dem Prinzip ein/eine Einzelne(r) setzt andere nach seiner/ihrer Hand um seine/ihre narzistischen Bedürfnissen zu erfüllen. Und da wo es bei Kirchens trotzdem passiert, wird es (meistens doch) geahndet.
    Lieve Van den Ameele