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Von – 2. April 2012

Ein Rest von Zuversicht

Ali Murtaza bringt in Sankt Peter Jugendgewalt auf die Bühne

Zeigten ebenso wie ihre Kolleginnen schauspielerische Stärke: Fiona Kern alias „Fetzer“ (links) und Seda Yorulmaz alias „Pickel“. Foto: Rolf Oeser

„Wir brauchen keine Bücher, sondern eine Fahrkarte hier raus.“ Mit diesem Satz liefert die völlig demoralisierte Fetzer (Fiona Kern) in der Tanz- und Theaterperformance „KlassenFeind 2.0“ Diagnose und Hilferuf zugleich.

Nach Gewaltexzessen von den Lehrern abgeschrieben, hockt sie mit fünf anderen in einem Klassenzimmer, das so verwüstet ist wie ihre eigene Existenz. Um nicht noch tiefer im Strudel der Hoffnungslosigkeit zu versinken, nehmen die Mädchen den Unterricht selbst in die Hand. Die von ihnen ausgesuchten Themen rutschen dabei schnell in den Hintergrund.

Wie sich herausstellt, wurde Sweetheart (Jessi Bacia) als Babyklappenkind „wie ein Auto“ weitergereicht und sehnt sich nach einer Mutter. Pickel (Seda Yorulmaz) kommt nicht über die Trennung der Eltern hinweg, und Nipper (Teresa Stockem) leidet unter ihrem alkoholsüchtigen und prügelnden Vater. Injera (Nazret Tesfay) schließlich leidet unter den Erniedrigungen, denen sie wegen ihrer Hautfarbe ausgesetzt ist. Nur Vollmond (Soukaina Ouakili) hegt als einzige noch einen Rest von Zuversicht: „Irgendwer wird schon kommen. Die lehnen sich nicht zurück und lassen uns hier krepieren.“

Foto: Rolf Oeser

Mit „Klassen Feind 2.0.“ nimmt Regisseur Ali Murtaza in der Jugendkulturkirche Sankt Peter das Phänomen der Jugendgewalt ins Visier. Als Theaterpädagoge weiß er nur zu gut, wie sehr junge Menschen Anerkennung und Liebe brauchen sowie Raum für ihre Träume und Talente. Wenn Familie und Gesellschaft an diesen Stellen versagen, bleibe den Jugendlichen oft nur die Sprache der Gewalt. „Wir können natürlich wegschauen, aber das löst nicht das Problem“, mahnt Murtaza.

Als Vorlage diente ihm zwar Nigel Williams 1978 in England uraufgeführtes Theaterstück „Class Enemy“. Die Inhalte passte der am Westfälischen Landestheater engagierte Schauspieler jedoch der Gegenwart an. Dass etwa Nipper „den Ausländern“ alle Schuld in die Schuhe schiebt, kommt im Original ebenso wenig vor wie die Videosequenzen oder die Hip Hop-, Rap- und Tanz-Einlagen. Zudem lässt Murtaza statt böser Jungs rabiate Mädchen auf der Bühne agieren. Die werden von den Laiendarstellerinnen derart überzeugend verkörpert, dass fast die Grenze zwischen Fiktion und Realität verschwimmt.

Foto: Rolf Oeser

Ihre Authentizität sorgt auch dafür, dass niemand die Botschaft des Stückes überhört: Gewalt ist eine Sackgasse, die nur zur Selbstzerstörung führt. Weil „Klassen Feind 2.0.“ das in bewegender Weise erzählt und auch zeigt, warum junge Menschen in diesen Teufelskreis geraten, war Ronny Günkel von der Frankfurter Geschäftsstelle des „Netzwerks gegen Gewalt“ von dem Projekt sofort angetan. Zumal der Kriminalbeamte bei Probeaufführungen für 7. und 8. Klassen beobachten konnte, wie „Schüler in den ihnen vertrauten Bildern und Tönen ihr eigenes Leben wieder- erkennen“.

Weitere Aufführungen sind am 20. und 21. April, jeweils um 19.30 Uhr in der Jugendkulturkirche Sankt Peter, Stephanstraße 6 (9/6 Euro). Reservierungen unter www.frankfurtticket.de.

Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 2. April 2012 in der Rubrik Kultur, erschienen in der Ausgabe .

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