Kann es ein Menschenrecht auf Pflege geben? Sowohl für diejenigen, die andere pflegen, als auch für diejenigen, die Pflege benötigen? Für die Anerkennung der Bedeutung von „Fürsorge“ auf einer menschenrechtlichen Ebene plädiert die Sozialwissenschaftlerin Ute Gerhard.
Gerhard hielt den Eröffnungsvortrag zu einer Tagung der Evangelischen Akademie in Hessen und Nassau und des Cornelia Goethe Zentrums an der Frankfurter Uni. Auf der Ebene der Vereinten Nationen sei das Familienrecht der „Knackpunkt“ im Bezug auf die Anerkennung der Menschenrechte für Frauen, sagte Gerhardt. Zwar hätten fast alle Mitgliedsstaaten die entsprechende UN-Konvention von 1979 inzwischen ratifiziert (mit Ausnahme einiger muslimischer Staaten, der USA und des Vatikan), doch die Hälfte von ihnen hätten ihre Unterschrift mit entsprechenden Vorbehalten versehen. Das Thema „Care“, also Fürsorgearbeit, auf der Ebene der Menschenrechte in die Diskussion zu bringen, könne auch neue Debatten über Geschlechterrollen eröffnen.
Skeptisch äußerte sich der Erziehungswissenschaftler Micha Brumlik. Zu Recht seien die Menschenrechte „Abwehrrechte“ gegen staatliche Übergriffe und es sei sinnvoll, sie auf wenige, klare Punkte zu beschränken. Die Frage der Fürsorge betreffe vor allem die sozialen Rahmenbedingungen, unter denen es Menschen möglich ist, für andere zu sorgen.
Die katholische Theologin Marianne Heimbach-Steins hingegen sah genau diese Rahmenbedingungen „auf derselben Ebene“ wie die grundlegenden Menschenrechte, da ohne solche Voraussetzungen diese Rechte von den Individuen gar nicht wahrgenommen werden könnten. Das Menschenbild des „autonomen Individuums“, das dem bisherigen Konzept der Menschenrechte zugrunde liege, müsse überdacht werden.
Die muslimische Theologin Amina Wadud wies darauf hin, dass die Menschenrechte bisher in keine Gesellschaft wirklich allen Menschen garantiert würden. Überall gäbe es „unsichtbare Menschen“, denen sie vorenthalten werden und die meist auch gerade diejenigen sein, die die Fürsorgearbeit leisteten. Sie forderte Frauen dazu auf, sowohl religiöse Konzepte, die die Zuständigkeit von Frauen für diese Arbeiten festschreiben, als als auch die derzeitige Definition von „Menschenrechten“ ausgehend von der eigenen Lebenserfahrung zu hinterfragen und weiterzuentwickeln.
Die Tagung wird morgen und übermorgen in der Evangelischen Akademie in Arnoldshain im Taunus fortgesetzt.