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Von – 13. November 2012

Religiöser Fanatismus: Der Sog der einfachen Antwort

Religiöser Extremismus und Fanatismus ist ein Problem, das es in allen Religionen und Weltanschauungen gibt. Der Frankfurter Rat der Religionen lud zu einer Diskussion darüber ein.

Mit religiösem Fanatismus beschäftigte sich eine Podiumsdiskussion im Haus am Dom mit Claudia Dantschke, Thomas Schmidt, Moderator Klaus Hofmeister und Muhammad Sameer Murtaza (von links nach rechts). Foto: Antje Schrupp

Wo genau die Grenze zwischen akzeptablen und fanatischen Formen des Glaubens verläuft, lasse sich nicht klar definieren, sondern sei immer ein sozialer Aushandlungsprozess, betonte der katholische Religionsphilosoph Thomas Schmidt von der Frankfurter Uni bei der Veranstaltung gestern Abend im Haus am Dom. „Es wird uns nicht gelingen, durch Regelungen eine feine, aseptische Religion zu bekommen, die die bürgerliche Welt nicht stört“, ist Schmidt überzeugt. Dennoch sei es wichtig, „immer wieder um die Grenzen zu ringen. Es gibt keine Alternative zum Dauerstreit.“

Klar überschritten sind die Grenzen des Akzeptablen dort, wo das Bekenntnis zur eigenen Religion und ihren Werten die Menschenwürde anderer missachtet oder gar in Gewalt umschlägt, da war sich das Podium einig. „Wenn jemand seine persönliche Identität aus der Weltanschauung zieht und glaubt, andere Menschen seien nichts wert, weil sie an etwas anderes glauben, wird es gefährlich“, sagte Claudia Danschke, die beim „Zentrum Demokratische Kultur“ in Berlin besonders die extrem- islamistische Szene Deutschlands erforscht.

Politische Kampfbegriffe

Die Einschätzung dessen, was noch „normal“ und was schon „fanatisch“ ist, sei gerade in Bezug auf Religionen umstritten, betonte der Islamwissenschaftler Muhammad Sameer Murtaza von der Stiftung Weltethos in Bad Kreuznach. „Manche würden schon das Tragen eines Kopftuchs oder das Einhalten des Ramadan-Fastens als extreme Form von Religiosität einordnen.“ Begriffe wie Fundamentalismus oder Extremismus seien sehr unscharf und könnten leicht zu „politischen Kampfbegriffen“ werden, die dazu dienen, bestimmte Formen von Religiosität zu diffamieren.

Besonders anfällig für den „Sog der einfachen Antwort“, die radikale religiöse Gruppen meist versprechen, seien vor allem Menschen, die für sich keinen akzeptierten Platz in der Gesellschaft finden, weiß Claudia Dantschke aus ihrer Beratungsarbeit. Speziell Jugendliche in der Phase der Selbstfindung können es verlockend finden, wenn charismatische Führer ihnen einen Glauben versprechen, der alle Probleme der Welt lösen würde. „Das betrifft Menschen aus allen Bildungsschichten“, betonte Dantschke, „am wenigsten anfällig sind diejenigen, die in ihren Elternhäusern einen reflektierten Glauben kennengelernt haben.“

Islamischer Religionsunterricht ist wichtig

Dass für muslimische Jugendliche charismatische radikalislamische Prediger attraktiv sein können, führte Muhammad Murtaza auch auf Defizite der klassischen Moscheegemeinden zurück. Sie hätten keine Antworten auf die Fragen vieler Jugendlicher gehabt, die nach den Terroranschlägen am 11. September von der Außenwelt stark mit ihrem eigenen Muslimischsein konfrontiert worden sind.

Diese Lücke hätten dann radikale Prediger gefüllt, ergänzte Dantschke. Achtzig Prozent der Internetseiten, die man findet, wenn man nach islamischen Begriffen googelt, würden extreme und konservative Ansichten vertreten. Deshalb sei es so wichtig, dass es in Deutschland bald islamischen Religionsunterricht gebe.

Die Zunahme von religiösem Extremismus sei allerdings ein gewöhnliches Begleitphänomen von gesellschaftlicher Modernisierung, ist Thomas Schmidt überzeugt. „Fundamentalistische Strömungen reagieren auf die Zumutungen der Pluralität.“ Die damit verbundenen Herausforderungen seien nicht ein spezielles Problem der Religionen, sondern notwendige Konflikte, die in modernen Gesellschaften geführt werden müssen.

Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 13. November 2012 in der Rubrik Gott & Glauben, Stadtkirche, erschienen in der Ausgabe , .

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Dr. Antje Schrupp ist geschäftsführende Redakteurin von Evangelisches Frankfurt. Die Journalistin und Politikwissenschaftlerin bloggt auch unter www.antjeschrupp.com.