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Von – 20. März 2013

Mitleiden braucht Stille

Karfreitag ist ein schwieriger Feiertag. Er ist zwar staatlich geschützt, aber viele wissen nicht, was an diesem Tag „gefeiert“ werden soll, oder warum es aus christlicher Sicht so wichtig ist, dass es ein „stiller“ Tag ist.

Werner Schneider-Quindeau ist Pfarrer für Stadtkirchenarbeit an der Katharinenkirche. Foto: Rolf Oeser

Werner Schneider-Quindeau ist Pfarrer für Stadtkirchenarbeit an der Katharinenkirche. Foto: Rolf Oeser

Für die meisten ist Karfreitag nur ein arbeitsfreier Tag, der mit dem anstehenden Osterfest zu einem verlängerten Wochenende einlädt. Für manche eine willkommene Gelegenheit zum Urlaub, andere wollen sogar laut und mit viel Tamtam den freien Tag begehen. Kann nicht jede oder jeder einen Feiertag so begehen, wie es ihm beliebt? Ist der Glaube nicht Privatsache, sodass niemand dem anderen vorschreiben kann, wie und was er zu glauben hat? Der Karfreitag mag ja als Feiertag christliche Wurzeln haben, aber diese sind heute kaum noch verständlich.

Die christlichen Kirchen erinnern an diesem Tag an den Kreuzestod des Jesus von Nazareth, der als gewaltloser politischer Rebell und religiöser Abweichler und Gotteslästerer hingerichtet wurde. Er war aber nicht nur eines der unzähligen Opfer politischer und religiöser Macht, sondern in ihm erkennen Christinnen und Christen Gottes Barmherzigkeit im Mitleiden. Wie er die Nähe Gottes verkündigte und dass er über seinen Tod hinaus lebte, gab seinem Leiden eine besondere Bedeutung. Sein Tod stellte klar: Gott steht auf der Seite der Opfer, der Armen, der Entrechteten, der Kranken und Schwachen, der Beschädigten und Verletzten. Er will keine Opfer, sondern verspricht gerade ihnen ein Leben in Fülle.

Wer die scheinbar endlose Geschichte der Opfer beenden will, muss sich mit ihnen solidarisieren, muss ihr Leiden sehen und bekannt machen, muss zumindest versuchen, die Ursachen des Leidens zu beseitigen, die Menschen anderen Menschen zufügen. Aber wir ertragen den Anblick von Schmerz und Not, von Verzweiflung und Ohnmacht oft nicht sehr lange. Jeden Tag sind die Zeitungen und die Nachrichten voll davon, und die schlechte Nachricht von heute lässt die von gestern schon fast vergessen sein. Mitleiden macht die gute Stimmung kaputt. Wer will sich schon ständig mit dem Elend auseinandersetzen? Auf Dauer führt das nur in die Depression.

Diese Steinskulptur von Jesus als „Schmerzensmann“ befindet sich in der Alten Nikolaikirche am Römerberg. Unter dem Motto „Er trägt unsere Schmerzen“ veranstalten die Frankfurter City-Gemeinden am Karfreitag, 29. März, Gottesdienste, Andachten, Konzerte. Ein Flyer dazu liegt ab 20. März in den Innenstadtkirchen aus und steht unter www.frankfurt-evangelisch.de/karfreitag.html im Internet. Foto: Rolf Oeser

Diese Steinskulptur von Jesus als „Schmerzensmann“ befindet sich in der Alten Nikolaikirche am Römerberg. Unter dem Motto „Er trägt unsere Schmerzen“ veranstalten die Frankfurter City-Gemeinden am Karfreitag, 29. März, Gottesdienste, Andachten, Konzerte. Ein Flyer dazu liegt ab 20. März in den Innenstadtkirchen aus und steht unter www.frankfurt-evangelisch.de/karfreitag.html im Internet. Foto: Rolf Oeser

Mitleiden ist aber der erste Schritt, um sich nicht mit dem Unerträglichen als einem unveränderlichen Schicksal abzufinden. Es kann sowohl verändert als auch gemeinsam getragen werden. Eine Spende für die Bedürftigen ist nicht unbedingt Ausdruck des Mitleidens. Sie kann die eigene Großzügigkeit ausdrücken, aber auch die Dankbarkeit dafür, dass man selbst ein einigermaßen gesichertes Leben hat. Mitleiden ist schwieriger. Dabei geht es um das aufmerksame Hinhören auf Augenhöhe und die fürsorgliche Begleitung in oft ausweglosen Situationen. Wie viel Todesbetrübnis halten wir aus, wenn Menschen völlig erschöpft und verzweifelt ihren Lebensmut verloren haben? Bleiben wir wach, oder schlafen wir auch ein wie die Jünger im Garten Gethsemane, weil uns das Leid überfordert?

Der Karfreitag ist kein Feiertag zum Wohlfühlen. Und ein Abschied zum baldigen Wiedersehen an Ostern ist Jesu Kreuzigung auch nicht. Der Geschundene und Gequälte ist kein besonders guter Anlass zum „Feiern“. Er stört. Denn die Frage, die Jesu Kreuz uns stellt, heißt: Wo und wie wird das Mitleiden eingeübt, und welche Zeiten und Räume gibt es, in denen wir uns still und konzentriert darauf besinnen?

Die Abwehr und die Verdrängung von Leid sind allzu verständlich. Aber dadurch verschwindet es ja nicht. Der Karfreitag als „stiller Feiertag“ steht für die christliche Überzeugung, dass Menschen mit anderen mitleiden können, dass sie das Unerträgliche aushalten können, wenn sie den Gott des Lebens auf ihrer Seite wissen.

Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 20. März 2013 in der Rubrik Gott & Glauben, erschienen in der Ausgabe .

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Werner Schneider-Quindeau ist Pfarrer für Stadtkirchenarbeit an der Katharinenkirche in Frankfurt.

Kommentare zu diesem Artikel

  • Friedrich Peter Niebling schrieb am 9. April 2013

    Mitleiden braucht Stille

    Möglicherweise oder auch ziemlich wahrscheinlich ist´s schön für Herrn Pfarrer Schneider-Quindeau, dass er so glatt und rund eingebunden ist, in seinen Glauben, respektive in seinem Bild von Gott, den Menschen und in der Tradition jener Prediger, die hartnäckig und formelhaft von sich geben, was nur bei Ihresgleichen bestehen kann. Mitfühlenden, wird es eher ein Grausen sein, seine Predigt. Ich jedenfalls lese seinen Artikel mit Unbehagen. Auch nach mehrmaligen lesen wird mir nicht klar, an was nun Gottes Barmherzigkeit zu erkennen ist. Und welche Bedeutung hat Herrn Pfarrers und mein Leben, wenn wir nicht über unseren Tod hinaus leben? Und steht Gott wirklich „auf der Seite der Opfer, der Armen, der Entrechteten, der Kranken und Schwachen, der Beschädigten und Verletzten?“ Kann und will ich mich auf Gottes Versprechen auf ein Leben in Fülle verlassen? Versprochen hat sich hier wohl eher Herr Schneider-Quindeau. Und nochmals mit der Idee von der Solidarisierung mit den Opfern und der Beseitigung der Ursachen des Leides. All dem Leid fügt Herr Pfarrer noch einen Anspruch bei, der nach seiner Rezeptur kaum eingelöst werden kann. Wie hat er es geschafft, den Gott des Lebens auf seiner Seite zu wissen? Wenn ich meine Giftfeile losschieße, weiß ich ihn ja auch auf meiner Seite. Aber es könnte ja auch sein Gegenspieler sein. Wer weiß das schon? Wer weiß, wer bei seiner Predigt noch alles mitgespielt hat?

    Friedrich Peter Niebling