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Von – 16. Mai 2013

Soundtrack des Lebens: Lieblingslieder sterbender Menschen

Drei Jahre lang sprach Stefan Weiller mit Menschen im Hospiz und fragte sie nach ihren Geschichten und ihrer Lieblingsmusik.

"Und die Welt steht still" - unter diesem Motto brachte ein Konzertabend in der Heiliggeistkirche Geschichten und Lieblingslieder sterbender Menschen nahe. Foto: Ilona Surrey

„Und die Welt steht still“ – unter diesem Motto brachte ein Konzertabend in der Heiliggeistkirche Geschichten und Lieblingslieder sterbender Menschen nahe. Foto: Ilona Surrey

„Der Einzug ins Hospiz war schwer“, erzählt ein Mann, „aber zuhause ging es einfach nicht mehr. Im Mai sollte man ja eigentlich draußen sein. Das hat mich an ein Lied in meiner Jugend erinnert: Komm, lieber Mai…“. Seine Geschichte war eine von denen, die Stefan Weiller für das Kunstprojekt „…und die Welt steht still – letzte Lieder und Geschichten aus dem Hospiz“ gesammelt hat. Drei Jahre lang führte er Interviews mit Menschen im Evangelischen Hospiz Frankfurt und im Hospiz Advena in Wiesbaden. Im Zentrum stand immer die Frage: „Welche Musik ist Ihnen kostbar und welche Erinnerung verbinden Sie damit?“

Die Schauspielerin und Sprecherin Hansi Jochmann, bekannt als deutsche Stimme von Jodie Foster, las diese Texte bei einem Konzertabend in der Heiliggeistkirche. Nach jedem Text wurde von einer Sopran- oder Tenorstimme das Lied aufgeführt, das dem Sterbenden in der Rückschau auf sein Leben besonders kostbar war. Kleine Videoinstallationen ergänzten die jeweilige Geschichte.

Das Meer hinter der Düne, die Zigarette in der Nacht

Die Erinnerungen waren so vielfältig wie die Lieblingsmusiken. Eine Frau erinnerte sich an ihre Mutter, die als Jüdin im Nationalsozialismus verfolgt worden war und die sie im Deutschland der 1950er Jahre noch wiedertreffen konnte. „A jiddische Mame“ war ihr Wunschlied.

„Kennt auch Dich und hat dich lieb“ war für eine andere die Liedzeile, die sie auswählte, weil sie schlimme Erfahrungen wie Scheidung und Tod des Ehepartners überdauerte und an das Vertrauen der Kindheit erinnerte. Andere Texte erzählten von sinnlichen Eindrücken wie dem Meer hinter der Düne, dem Knistern der Zigarette in der Nacht, dem Herzklopfen im Ohr vor dem ersten „Ich liebe Dich“ oder auch dem unwiederbringlichen Geschmack eines Schinkenbrötchens.

Lieder wie „Ich lade gern mir Gäste ein“ oder „Ich bin die Christel von der Post“ feierten das Leben. Trotz Krankheit, Leid und Todesnähe gab es auch komische Erinnerungen: „Am Sonntag spielte mein Vater immer etwas, das er für Mozart hielt“, erzählte eine Frau, „Der Gesang meiner Mutter grenzte an Körperverletzung. Es waren wundervolle Zeiten.“

Anne und Nikolaus Schneider über den Tod ihrer Tochter

„Ich hab Dich sicher in meiner Seele, ich trag Dich bei mir, bis der Vorhang fällt“ – diese Zeile aus einem Lied von Herbert Grönemeyer hat sich Anne Schneider besonders eingeprägt: Es war das Lieblingslied ihrer jüngsten Tochter Maike, die mit nur 22 Jahren an Leukämie gestorben ist. Im Gespräch mit Meinhard Schmidt-Degenhard vom Hessischen Rundfunk erzählten sie und ihr Mann Nikolaus Schneider, der Ratspräsident der Evangelischen Kirche in Deutschland, von den zwei Jahren nach der Leukämie-Diagnose und den letzten Tagen am Bett ihrer Tochter. Eine bittere Erfahrung, die sie in ihrem Buch „Wenn das Leid, das wir tragen, den Weg uns weist“ geschildert haben.

Anne Schneider sagte, sie habe sich in dieser Zeit eine „Auszeit“ von ihrer Gottesbeziehung genommen. Sie glaube, dass Gott sich wirklich für Menschen interessiere und allmächtig sei, sein Plan mit ihrer Tochter sei ihr aber unverständlich. Im Nachhinein empfinde sie die große Nähe zu ihrer Tochter bei der Krankheitsbegleitung aber auch als Gottesgeschenk. Nikolaus Schneider sagte, ihm sei sehr bewusst geworden, dass die Reihenfolge falsch sei, wenn Kinder vor ihren Eltern stürben. Das wolle er sich auch nicht schönreden. Er und seine Frau hätten aber die Hoffnung, „dass wir nach unserem Tod nicht Nichts werden, sondern in die Gegenwart Gottes eintreten“ – wie auch immer diese aussehen möge.

Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 16. Mai 2013 in der Rubrik Kultur, erschienen in der Ausgabe , .

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Stephanie von Selchow ist Redakteurin von "Evangelisches Frankfurt".