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Von – 20. November 2013

Buch dokumentiert antisemitische NS-Verstrickung der Kirchen

Die Forschungsarbeiten über den Ausschluss so genannter „rassejüdischer“ Gemeindemitglieder aus der evangelischen Kirche sind jetzt als Buch erschienen.

cocon coverDie Landeskirche Nassau-Hessen beging 1942 einen fatalen Verrat an der Taufe: Die deutschchristliche Kirchenleitung ordnete damals an, Mitgliedern jüdischer Herkunft „keinen Raum und kein Recht“ mehr zu gewähren.

Allein in Frankfurt wurden damit rund 2500 Evangelische sozusagen über Nacht zu „rassejüdischen“ Christinnen und Christen gestempelt und vom Gemeindeleben ausgeschlossen. Ihre Bedrängnis wurde von den vermeintlichen Glaubensgeschwistern meist ignoriert, zum Teil hat man sie sogar denunziert. Nur wenige standen den antisemitisch Verfolgten zur Seite.

Mühevolle Kleinarbeit in Archiven

Nach dem Ende der Nazidiktatur blieb dieses schmähliche Verhalten der Kirche weitgehend in einen Mantel des Schweigens gehüllt. Erst in den 1990er Jahren starteten die ersten landeskirchlichen Forschungsprojekte. 2002 machte sich eine Gruppe engagierter Menschen daran, dem Schicksal der verstoßenen Kirchenmitglieder nachzuspüren.

In mühevoller Kleinarbeit durchforsteten sie rund zehn Jahre lang Archive, Taufbücher und andere Quellen, sprachen mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen und gingen jedem noch so kleinen Hinweis nach. Auf diese Weise trugen sie zahlreiche Teile eines Puzzles zusammen, das aber vermutlich für immer lückenhaft bleiben wird.

450 Seiten umfassende Dokumentation

Die auf Frankfurt bezogenen Recherchen wurden bereits im Rahmen einer Wanderausstellung vor Augen geführt. Unter gleichnamigem Titel ist Ende November nun ein Buch mit den gesamten Forschungsergebnissen erschienen. Herausgegeben von dem Historiker Hartmut Schmidt, Monica Kingreen vom Fritz-Bauer-Institut, dem früheren Leiter der Evangelischen Akademie Arnoldshain, Hermann Düringer und dem Beauftragten für christlich-jüdische Zusammenarbeit in Kurhessen-Waldeck, Pfarrer Heinz Daume, gewährt die mehr als 450 Seiten umfassende Publikation profunden Einblick in ein beschämendes Kapitel der hessischen Landeskirchen.

Zu der Thematik legten hierzulande zwar einige andere Kirchenregionen bereits Schriften vor. Hartmut Schmidt stuft „Getauft, ausgestoßen – und vergessen?“ dennoch als „Novum“ ein. Die Beiträge aus Hessen würden auf einer breiteren Basis stehen, da hier das Quellenmaterial reicher als andernorts gewesen sei.

Zeitzeugenberichte, Hilfsaktionen, Lebensbilder

Abgesehen davon ist weder die geleistete Recherchearbeit noch die Veröffentlichung ein Auftragswerk der Kirchenleitung. Die Gruppe um die Herausgeber selbst war es, die in den beiden hessischen Kirchen ein offizielles Forschungsprojekt angestoßen hat, das von 2008 bis 2010 den „Umgang der Evangelischen Kirchen in Hessen mit den Christen jüdischer Herkunft während der NS-Zeit und nach 1945″ beleuchtete.

Die historisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse sind in „Getauft, ausgestoßen – und vergessen?“ ebenso zu finden wie Zeitzeugenberichte, Hilfsaktionen im Umfeld der Kirche, Lebensbilder der Verfolgten und Ermordeten sowie Texte des Erinnerns und Gedenkens. Außerdem werden alle Namen der 285 Protestantinnen und Protestanten jüdischer Herkunft genannt, die auf hessischem Kirchengebiet dem Naziterror zum Opfer fielen. Auch eine Liste der jüdischen Opfer mit evangelischen Angehörigen haben die Herausgeber beigefügt.

Jugendliche und Erwachsene sollen angesprochen werden

Hermann Düringer versteht die Publikation als „Arbeits- Lese- und Gedenkbuch“ gleichermaßen. Es sei allen ein Anliegen gewesen, mit der inhaltlichen Gestaltung ebenso Jugendliche wie Erwachsene anzusprechen. Der pensionierte Akademiedirektor hofft, dass es entsprechende Verbreitung findet und hob bei der Buchpräsentation ausdrücklich die Verdienste von Hartmut Schmidt hervor. Der Vorsitzende der hiesigen „Initiative Stolpersteine“ habe nicht nur ein Großteil der Forschungsarbeit geleistet, sondern 2002 auch den Initiativkreis ins Leben gerufen.

Dass der 70-jährige Journalist eine federführende Rolle in der Aufarbeitung der landeskirchlichen NS-Verstrickungen spielt, ist auch anderen Stellen nicht entgangen. Für sein zeitgeschichtliches Engagement wurde ihm vor einem Jahr die Spener-Medaille des Evangelischen Regionalverbandes Frankfurt und vor wenigen Wochen die Charlotte-Petersen-Medaille der Stadt Dillenburg verliehen.

„Getauft, ausgestoßen – und vergessen? Zum Umgang der evangelischen Kirchen in Hessen mit den Christen jüdischer Herkunft im Nationalsozialismus“, CoCon-Verlag, Hanau 2013, 466 Seiten, 29,80 Euro.

Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 20. November 2013 in der Rubrik Bücher & Filme, Ethik, erschienen in der Ausgabe , .

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