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Von , – 19. Juli 2014

„Mit allen Religionen im Gespräch“

In Frankfurt ist der Stadtkämmerer traditionell auch Kirchendezernent. Warum eigentlich? Und wie hält es der Kirchendezernent mit den vielen anderen Religionen, die es längst in Frankfurt gibt? Ein Gespräch mit Uwe Becker über religiöse Vielfalt, abendländische Werte und Geld für Kirchengebäude.

Uwe Becker ist nicht nur von Amts wegen Kirchendezernent, er engagiert sich auch persönlich für den Erhalt christlich-abendländischer Werte. Hier beim Gespräch mit „Evangelisches Frankfurt“. Foto: Ilona Surrey

Uwe Becker ist nicht nur von Amts wegen Kirchendezernent, er engagiert sich auch persönlich für den Erhalt christlich-abendländischer Werte. Hier beim Gespräch mit „Evangelisches Frankfurt“. Foto: Ilona Surrey

Evangelisches Frankfurt: Herr Becker, Sie sind Kirchendezernent und Kämmerer. Traditionell ist das Kirchendezernat in der Kämmerei angesiedelt – wieso eigentlich?

Uwe Becker: Historisch erklärt sich das aus der Säkularisierung im 19. Jahrhundert. Damals ist das Eigentum der Innenstadtkirchen auf die Stadt übergegangen und damit auch die Verpflichtung, für deren Unterhalt zu sorgen und die entsprechenden Kosten zu tragen.

Man muss also nicht fromm sein als Kirchendezernent?

Nein, sicherlich nicht. Ich selbst bin katholisch, sehe mich aber als Ansprechpartner für alle Kirchen und Religionsgemeinschaften.

Frankfurt ist eine der multireligiösesten Städte Deutschlands. Ist die Bezeichnung „Kirchendezernent“ überhaupt noch zeitgemäß?

Ja, eben weil das Amt seinen Ursprung in der Sorge für die christlichen Kirchengebäude hat. Inzwischen wurde das um die Zuständigkeit für die Angelegenheiten auch der Jüdischen Gemeinde erweitert, und ich bin natürlich auch mit anderen Religionsgemeinschaften und dem Rat der Religionen im Gespräch.

Muslimische Gemeinden sind oft als Vereine organisiert. Wenden die sich dann mit ihren Anliegen an den Kirchendezernenten? Oder ans Amt für multikulturelle Angelegenheiten?

Das hängt ganz vom konkreten Anliegen ab. Wenn es um Vereinsfragen geht, kann es auch die Ordnungsverwaltung sein. Wir haben in Frankfurt keine zentrale Anlaufstelle aus dem Thema Religion heraus. Kürzlich erzählte mir ein Muslim, der mit großer Freude die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen hat, dass er sehr verärgert war, als er mit seinen Vereinsangelegenheiten ans Amt für multikulturelle Angelegenheiten verwiesen worden sei. Er empfand das als Diskriminierung, denn wäre er schon immer Deutscher gewesen, wäre ja niemand auf diese Idee gekommen. Man muss das Thema also differenziert betrachten. Ich sehe meine Aufgabe darin, für alle Frankfurterinnen und Frankfurter da zu sein, und wer nicht sicher ist, wohin er sich wenden soll, kann immer zum Kirchendezernenten gehen, auch als Angehöriger einer nicht-christlichen Religion.

Foto: Ilona Surrey

Foto: Ilona Surrey

Tatsächlich nehmen Sie auch inhaltlich Stellung, zum Beispiel haben Sie sich sehr exponiert zum Schutz des Karfreitags geäußert.

Ja, ich bin überzeugt, dass die christlich-jüdischen und abendländischen Werte ein tragendes Element unserer Gesellschaft sind und nicht fortwährend in Frage gestellt werden dürfen. Mit dem Leiden Jesu Christi und dem, was sich darin ausdrückt, vertragen sich fröhliche Feierlichkeiten nun mal nicht. Man sollte zu solchen Traditionen stehen. Aus meiner Sicht war deshalb auch die Abschaffung des Buß- und Bettags als gesetzlicher Feiertag ein Fehler. Wir können nicht den Werteverlust der Gesellschaft beklagen und gleichzeitig die Ankerpunkte dieser Werte mehr und mehr lösen. Es darf nicht darum gehen, dem Zeitgeist nachzulaufen, sondern wir müssen der Zeit Geist geben.

Was bedeutet für Sie Religion, ganz persönlich?

Ich bin katholisch getauft und firmiert und habe eine Frau geheiratet, die evangelisch ist. Wir haben ökumenisch geheiratet, mit einem katholischen und einem evangelischen Pfarrer in einer evangelischen Kirche. Ich wünsche mir, dass man in den nächsten Jahren in der Ökumene noch weiter vorankommt.

Wie stehen Sie zu der Idee, religiöse Feiertage einzuführen, die nicht christlich sind? Einen muslimischen zum Beispiel?

Ich bin dafür, dass wir in unserem Land an dem Fundament unseres christlich-jüdisch-abendländischen Gesellschaftssystems festhalten, und daraus leiten sich auch die gesetzlichen Feiertage ab. Das bedeutet ja nicht, dass die jeweiligen Festlichkeiten anderer Religionen nicht gefeiert werden. Und ich bin auch sehr dafür, dass wir auch die Feste anderer Religionen wertschätzen und darauf hinweisen, zum Beispiel in Kalendern. Aber in den gesetzlichen Feiertagen drückt sich eben der kulturelle Rahmen unserer Gesellschaft aus, wie dies auch in anderen Ländern mit den dortigen Traditionen üblich ist.

In Frankfurt gibt es, anders als etwa in Berlin, keine starke anti-religiöse Stimmung. Zu den Protesten gegen das Tanzverbot am Karfreitag kam nur eine Handvoll Menschen. Wie erklären Sie das?

Ich glaube, das hängt mit der Geschichte unserer Stadt zusammen. In unserer Bürgerstadt hat es ja nie eine formelle Staatsreligion gegeben, die wirklich Zwang ausgeübt hätte. Frankfurt ist in diesem Geist eine Stadt der Offenheit und Liberalität. Wenn es Konflikte gibt, dann stellt man sich diesen offen und partnerschaftlich. Deshalb entsteht wahrscheinlich auch nicht dieser gefühlte Zwang, um des Protestes willen protestieren zu müssen.

Trotzdem hat Frankfurt auch viele soziale Probleme, zum Beispiel bei der Preisentwicklung der Mieten. Arm und reich scheiden sich immer mehr, und der Frankfurter Westen, so scheint es, wird etwas abgehängt. Welche Rolle kann die Religion dabei spielen?

Praktizierte Religion muss darauf hinwirken, die Teilnahme an Gesellschaft und Integration zu unterstützen. So erlebe ich auch den Rat der Religionen. Dann kann aus dieser Vielfalt das Verständnis wachsen, dass man trotz aller religiösen Unterschiede im Kern festhält an der Gemeinschaft, der gemeinsamen Stadt und Gesellschaft. Zu einem solchen Bewusstsein können Religionsgemeinschaften viel beitragen, und vielleicht auch Gräben, die aus Vorurteilen entstanden sind, verringern.

Von laizistischer Seite wird oft der starke finanzielle Beitrag der Stadt zu kirchlichen Einrichtungen kritisiert. Warum gibt die Stadt der Kirche so viel Geld, zum Beispiel für Kindertagesstätten?

Nun, weil die Kirchen damit einen wichtigen Beitrag zur Bildung und zur Entwicklung der Stadtgesellschaft leisten. Sie stellen mit ihrem Engagement sicher, dass Frankfurt eine soziale Stadt ist und bleibt. Frankfurt setzt seit jeher auf Subsidiarität, wir schätzen die Zusammenarbeit mit Kirchen und freien Trägern. Ich plädiere sehr engagiert dafür, daran festzuhalten. Eher ermuntere ich die Kirchen sogar, ihre Potenziale in diesem Bereich noch zu stärken und weiter auszubauen.

Um zurück auf den Anfang unseres Gesprächs zukommen: Wie sehen Sie die Zukunft der Dotationen? Wird die Stadt auch in fünfzig Jahren noch für die Innenstadtkirchen sorgen?

Ich kann da nur für meine Zeit sprechen, aber für mich sind die Dotationen mehr als nur eine vertragliche Verpflichtung. Sie sind auch ein Bekenntnis zum Kulturgut der Stadt. Ob es der Kaiserdom ist oder die evangelischen Innenstadtkirchen: Wir sprechen hier über Frankfurter Kulturgut. Deswegen sehe ich sogar eine Verpflichtung über das hinaus, was in den Verträgen aus den 1830er Jahren formuliert ist. Vom Land Hessen wurden vor einiger Zeit Diskussionen über eine mögliche Ablösung der Dotationsverpflichtungen angeregt. Damals hat die Stadt Frankfurt gesagt: Nein, wir stehen, auch dauerhaft, zu unseren Dotationsaufgaben. Für mich gehört das zu dem, was die Geschichte dieser Stadt ausmacht, und ich glaube, das ist auch ein Teil der empfundenen Identität der allermeisten Frankfurterinnen und Frankfurter.

Herr Becker, vielen Dank für das Gespräch.

Artikelinformationen

Beitrag von , , veröffentlicht am 19. Juli 2014 in der Rubrik Menschen, Stadtkirche, erschienen in der Ausgabe , .

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Dr. Antje Schrupp ist geschäftsführende Redakteurin von Evangelisches Frankfurt. Die Journalistin und Politikwissenschaftlerin bloggt auch unter www.antjeschrupp.com.

Kurt-Helmuth Eimuth ist Mitglied in der Redaktion von "Evangelisches Frankfurt". Mehr über den Publizisten und Erziehungswissenschaftler ist auf www.eimuth.de zu erfahren.