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Von – 25. September 2014

Und wer bist du?

„Und wer bist du?“ – Diese Frage wird oft gestellt, wenn nicht klar ist, wozu jemand gehört. Ein neues Gesicht auf einer Feier, bei der man ansonsten alle kennt. Die neue Kollegin, die zum ersten Mal in die Kantine kommt. Wo gehört die hin? Alle müssen doch irgendwo dazugehören! Das hat Chancen, aber auch Tücken.

Angelika Förg ist Referentin im Evangelischen Frauenbegegnungszentrum. Foto: Rolf Oeser

Angelika Förg ist Referentin im Evangelischen Frauenbegegnungszentrum. Foto: Rolf Oeser

Wer man ist, wozu man gehört, woher man kommt – die Frage „Und wer bist du?“ ist oft gar nicht so leicht zu beantworten. In manche Zugehörigkeiten sind wir hineingeboren, etwa in eine Familie, in eine Nationalität, oft auch in eine Religion. Andere haben wir selbst gewählt, eine politische Partei vielleicht oder eine kulturelle „Szene“. Manche Zugehörigkeiten haben sich im Lauf der Zeit verändert. Und dann hängt es immer auch am Kontext: Wir sind doch so vieles, was ist es, worauf es jetzt gerade ankommt?

„MehrFachZugehörigkeit – Und wer bist du?“ heißt das aktuelle Projekt der Evangelischen Frauen in Hessen und Nassau. Drei Jahre lang wird in Gruppen und bei Veranstaltungen die Frage ausgelotet, welche Auswirkungen es hat, dass es Zugehörigkeiten gibt.

Mir gefällt dieses Motto, auch in der sperrigen Schreibweise. „MehrFachZugehörigkeit“, das ist nicht so wohlklingend wie „Anerkennung“, „Respekt“, „Gerechtigkeit“ oder „Solidarität“. Aber gerade das Sperrige bringt es doch auf den Punkt: Unsere Zugehörigkeiten sind oft nicht einfach, nicht immer selbstbestimmt, und dennoch sind wir auf sie angewiesen.

Da ist die Familie, in die man hineingeboren ist, der Stadtteil, in dem man wohnt, die Kirchengemeinde, der Kreis der Freundinnen und Freunde, der Beruf, die kulturelle Herkunft. Aber auch der Chor, die Wandergruppe, der Tanzkreis oder die Friedensinitiative: Zu all diesen Gruppen und Kreisen gehören wir. Aber das heißt noch lange nicht, dass wir uns ihnen auch wirklich zugehörig fühlen. Dazu braucht es auch eine persönliche Beziehung, die durch beidseitige Anerkennung und Wertschätzung geprägt ist.

Die Frage „Und wer bist du?“ kann ganz verschiedene Hintergründe haben. Schön ist, wenn sie mit Aufmerksamkeit und Offenheit gestellt wird. Wo geschieht das im Alltag? Wo gibt es aufrichtiges Interesse und Zeit dafür, sich auf einen Menschen und seine Geschichte einzulassen? Ins Gespräch zu kommen, ohne in Schubladendenken und Stereotype zu verfallen – nach dem Motto: „Ach, so eine, so einer bist du?“

Das Kampagnenmotiv der Evangelischen Frauen in Hessen und Nassau. Drei Jahre geht es um das Thema „Mehrfachzugehörigkeit“.

Das Kampagnenmotiv der Evangelischen Frauen in Hessen und Nassau. Drei Jahre geht es um das Thema „Mehrfachzugehörigkeit“.

Im Evangelischen Frauenbegegnungszentrum haben wir einmal folgende Übung gemacht: Jede Teilnehmerin spielte einen Menschen mit besonderen Zugehörigkeiten, zum Beispiel eine alleinerziehende Mutter, einen Obdachlosen, eine Bankkauffrau, eine Erwerbslose, einen Flüchtling, eine Managerin, eine Kopftuchträgerin, einen homosexuellen Studenten, eine Rollstuhlfahrerin und so weiter. Alle standen auf einer Linie. Dann wurden Fragen gestellt, zum Beispiel: „Können Sie ohne Probleme eine Wohnung anmieten? Können Sie abends angstfrei alleine durch die Straßen gehen? Können Sie sich einen spontanen Urlaub leisten? Haben Sie im Beruf gute Aufstiegschancen?“ Wer zustimmte, ging einen Schritt nach vorn. Schnell entstanden große Abstände zwischen den einzelnen: Einige schritten zügig voran, andere kamen nicht vom Fleck.

Verschiedene Zugehörigkeiten bedeuten immer auch unterschiedliche Chancen und Möglichkeiten. Das ist beim Dialog zu beachten: Welche Kategorisierungen haben wir im Kopf? Was sehen wir als „normal“ an? Wie äußern sich Rassismus, Homophobie, Sexismus, Antisemitismus und Islamfeindlichkeit im Alltag? Wieso wird zum Beispiel dem Merkmal „ethnische Herkunft“, also dem „Migrationshintergrund“, so viel Bedeutung zugemessen, während andere Unterschiede wie Bildungsabschluss, Besitz oder sozialer Status im Alltag viel weniger problematisiert werden?

Mit ihrem Projekt wollen die evangelischen Frauen dazu anregen, sich mit eigenen Vorurteilen auseinanderzusetzen und Normalitäten und Privilegien zu hinterfragen. Denn die Bibel beantwortet die Frage: „Und wer bist du?“ ja ganz eindeutig: „Du bist erstaunlich, ausgezeichnet und wunderbar gemacht.“ (Ps 139,14).

Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 25. September 2014 in der Rubrik Lebenslagen, erschienen in der Ausgabe , .

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