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Aktuell

Von – 31. Oktober 2014

Unterschiedliche Stile

Lutherisch – reformiert – uniert: Historisch sind verschiedene evangelische Konfessionen entstanden, die zum Teil miteinander im Streit lagen. Heute ist diese Vielfalt eine Stärke des Protestantismus, denn so können Menschen verschiedene Facetten des Glaubens entdecken.

Susanne Bei der Wieden ist Pfarrerin in der Evangelisch-Reformierten Gemeinde in Frankfurt. Foto: Ilona Surrey

Susanne Bei der Wieden ist Pfarrerin in der Evangelisch-Reformierten Gemeinde in Frankfurt. Foto: Ilona Surrey

Ich liebe unsere Familienfeiern: Bei meiner Schwester ist es immer total chaotisch, aber alle sind fröhlich und das Essen ist super. Bei Tante Ulla geht es sehr förmlich zu, aber das Ambiente ist wundervoll. Und bei Till, meinem Cousin, ist es oft ziemlich schräg, aber nie langweilig.

Wir gehören zu einer Familie, und trotzdem feiern wir ganz verschieden: Wie wir uns am wohlsten fühlen und wie es unserem Lebensstil entspricht, der zwar von unserer Familie geprägt ist, aber zugleich auch von sehr unterschiedlichen Lebenserfahrungen und Werten.

Ähnlich geht es mir mit den evangelischen Konfessionen. Wir sind eine Familie mit gemeinsamem Stammbaum, der zurückgeht auf Martin Luthers befreiende Erkenntnis, dass Gott uns Menschen bedingungslos liebt. Aber schon früh haben sich die evangelischen „Familienmitglieder“ unter sehr unterschiedlichen Bedingungen entwickeln müssen und dabei ihren je eigenen Lebensstil ausgebildet: In den lutherischen Kirchen wuchs im Schutz der Städte und Fürstenhöfe ein reiches liturgisches, kulturelles und musikalisches Erbe. Die reformierte Frömmigkeit hingegen konzentrierte sich in jahrhundertelangen Erfahrungen von Flucht, Vertreibung und Integration auf die Predigt des Evangeliums und die christlich begründete Verantwortung für das Gemeinwesen.

Bis heute prägt das die Weise, in der die Konfessionen Gottesdienste feiern, kirchliche Ämter verstehen und Gemeinden organisieren. Die reformierte Kirche versteht sich stärker als politische und gesellschaftliche Größe und legt Wert auf das diakonische Engagement jeder einzelnen Gemeinde. In lutherischen Kirchen hingegen stehen eher Trost und Zuspruch für die Sehnsüchtigen und Suchenden im Vordergrund. Die tröstliche Gegenwart Jesu Christi erleben Glaubende in der lutherischen Feier des Abendmahls. Reformierte feiern am Tisch des Herrn eher die Verbundenheit der unterschiedlichen Menschen im Geist Jesu.

Schlicht und schnörkellos: Der Gottesdienstraum der evangelisch-reformierten Gemeinde im Westend. Foto: Helmut Stettin

Schlicht und schnörkellos: Der Gottesdienstraum der evangelisch-reformierten Gemeinde im Westend. Foto: Helmut Stettin

Dieser Unterschied im Verständnis des Abendmahls führte in der Reformationszeit zu einem regelrechten konfessionellen Familienstreit, aber das ist Geschichte. Längst sind auch innerhalb der jeweiligen Kirchen verschiedene Zugänge zum Glauben akzeptiert. Reformierte und lutherische Traditionen haben sich zum Teil vereinigt („uniert“), und die konfessionellen Lehrunterschiede kennen selbst Eingeweihte kaum noch. Trotzdem sind unterschiedliche Lebensstile geblieben und geben den Gottesdiensten ihre Atmosphäre: Bei den Reformierten der schlichte Tisch mit Bibel und Taufschale und transparente Fenster, die an den Blick auf die Not „da draußen“ gemahnen; die Konzentration auf die Predigt in den Gottesdiensten, die sich in Kaffeetrinken und Gesprächen in den Alltag hinein fortsetzen. Bei den Lutheranern Kreuz und Altar, bunte Fenster, die das Licht einer neuen Welt verheißen, Bilder, Kerzen und Musik, die die Sinne ansprechen und für einen Moment die Not des Alltags vergessen lassen.

Die konfessionelle Prägung der Gemeinden und Gottesdienste spricht Menschen auf unterschiedlichen Ebenen an und gibt ihrem Glauben die Lebensorte, die zu ihnen passen. Sie ruft wichtige Fragen wach: Wie verstehe ich meinen Glauben? Wo finden Menschen Halt? Welche Bedeutung hat diakonisches und politisches Engagement für die Gemeinde?

Ganz einfach gesagt: Konfessionen öffnen Türen zu unterschiedlichen Glaubensräumen, setzen Frömmigkeit auf je eigene Weise ins Licht. Sie prägen das Ambiente des Glaubens – wie bei Familienfeiern. Meine Schwester, meine Tante und mein Cousin kommen zu fast allen unseren Familienfeiern, auch wenn sie selbst ganz anders leben. Wie langweilig, wenn jede Feier gleich wäre!

Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 31. Oktober 2014 in der Rubrik Gott & Glauben, erschienen in der Ausgabe .

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