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Aktuell

Von – 27. März 2015

Aktive Flüchtlinge

Fachtag in der Evangelischen Akademie

Mustafa Abdi Ali wog 48 Kilo, als er in Deutschland ankam. In Somalia war er immer wieder vor dem Krieg geflohen, bevor er es nicht mehr aushielt und die gefährliche Reise über das Mittelmeer antrat. Aber in Italien durfte er nur drei Monate in der Flüchtlingsunterkunft bleiben, dann lebte er ein Jahr lang auf der Straße, hatte ständig Hunger. So flüchtete er weiter nach Deutschland, wo er nur durch ein Kirchenasyl einer Ausweisung nach Italien entging. Vor kurzem hat er mit anderen den Verein „Lampedusa
in Hanau – Flüchtlinge helfen Flüchtlingen“ gegründet.

Nevroz Duman hatte jahrelang jedes Mal Angst, abgeschoben zu werden, wenn es an der Tür klingelte. Sie war zwölf, als sie mit ihrer Mutter und ihren Geschwistern aus Kurdistan floh. Nach dem Hauptschulabschluss durfte sie keine Ausbildung anfangen: Acht lange Jahre lang war Dumans Familie in Deutschland lediglich „geduldet“. Grund genug, sich dem Verein „Jugendliche ohne Grenzen“ anzuschließen, der mehr Rechte für Flüchtlinge einfordert.

Ali und Duman erzählten ihre Lebensgeschichten zum Auftakt eines Fachtages „Vom Wartesaal zur Werkstatt – Aktive Ansätze für die Arbeit von und mit Flüchtlingen“ in der Evangelischen Akademie Frankfurt. Der Theologe Wolf-Dieter Just hob die Bedeutung von Aktivität und sozialer Einbindung für das Menschsein hervor. Es gebe ein „Menschenrecht auf Teilhabe“. Er kritisierte, dass Integrationsbemühungen in Deutschland erst dann beginnen, wenn der Status eines Flüchtlings geklärt ist. Viele seien deshalb jahrelang zu Passivität gezwungen, dürften weder lernen noch arbeiten – mit verheerenden psychosozialen Folgen.

Auch untereinander konnten sich die Teilnehmenden des Fachtags über Initiativen und Projekte informieren: Studierende bilden Tandems, in denen studierte Flüchtlinge ihr Wissen an Studierende der Frankfurter Uni weitergeben, die sie im Gegenzug dann über Deutschland informieren. Junge Männer machen Praktika auf einer Lehrbaustelle in Hersfeld-Rothenburg, Frauen aus Ländern, wo es als unschicklich gilt, wenn Frauen Fahrrad fahren, können es über eine Fahrradwerkstatt in Dietzenbach lernen: Das alles sind kleine Beispiele, die aber durchaus für die Einzelnen viel bewirken.

In ihrem Verein erlebe sie täglich, dass die Bereitschaft, Flüchtlinge zu integrieren, in der deutschen Gesellschaft wachse, sagte Duman in der abschließenden Diskussion, auch wenn die strukturellen Hindernisse groß seien. Vernetzung sei wesentlich, denn nur so könne man voneinander lernen. Etwa vom Landkreis Gießen, der jeder Gemeinschaftsunterkunft mit Flüchtlingen von Anfang an einen Deutschkurs der Volkshochschule finanziert, wie Dirk Haas, Kreisbeigeordneter aus Gießen, berichtete.

Moderatorin Gundel Neveling unterstrich, es sei zwar richtig, dass Deutschland angesichts des demografischen Wandels froh sein könne, wenn junge Menschen hier Fuß fassen. Es gehe aber nicht darum, welche Flüchtlinge „uns nützlich sein“ könnten. Sondern darum, Menschen zu unterstützen, damit sie hier ein würdiges Leben führen könnten – nämlich „nicht nur den Arzt aus Syrien, sondern auch den ungelernten Eritreer“.

Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 27. März 2015 in der Rubrik Lebenslagen, erschienen in der Ausgabe .

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Stephanie von Selchow ist Redakteurin von "Evangelisches Frankfurt".