Das Thema Patientenverfügung ist vielen Menschen unangenehm. Ein Vortrag im Diakonissenhaus sollte Ängsten entgegenwirken.
Die 89-jährige Rita L. ist nach einem Schlaganfall halbseitig gelähmt, die Ärzte mögen keine Prognose abgeben, wie es weitergeht. Sie ist schwach, antwortet kaum, wenn Tochter, Enkel und Krankenschwestern sie ansprechen. Doch am meisten besorgt sind die Angehörigen darüber, dass sie jeden Bissen verweigert. Rita L. hat sieben Jahre zuvor eine Patientenverfügung aufgesetzt. In dem Dokument steht, sie wolle auf keinen Fall künstlich ernährt werden.
Im Vortragssaal des Frankfurter Diakonissenhaus ist es still, als die Rechtsanwältin und Notarin Sabine Funke von der alten Frau berichtet. Die Sitzreihen sind gut gefüllt, das Thema Patientenverfügung scheint den Anwesenden wichtig. Schön ist es trotzdem nicht. Wer mag sich schon, wenn er gesund ist, damit auseinandersetzen, eines Tages unheilbar krank zu sein?
Immer eine Gratwanderung
„Ich empfehle sogar, bereits in jungen Jahren eine Patientenverfügung aufzusetzen“, sagt Sabine Funke. Eine Patientenverfügung ist ein Blick in die Zukunft. Denn in ihr legt ein Mensch fest, wie er medizinisch behandelt werden möchte, wenn er sich selbst dazu nicht mehr äußern kann. Eine Gratwanderung, immer. Dabei scheint zunächst alles ganz einfach. „Patientenverfügng Formular“: Bei Google bringen diese beiden Begriffe mehr als 95.900 Treffer. Das Problem: Die medizinischen Behandlungsmöglichkeiten, die in den Formularen, Textbausteinen und Formulierungshilfen angeboten werden, sind für Laien in ihrer Konsequenz nicht immer durchschaubar: „Wer lebenserhaltende Maßnahmen für sich ausschließt, untersagt beispielsweise auch eine Wiederbelebung nach einem Herzstillstand. Wichtig ist deshalb genaue Kenntnis und Beratung“, sagt Sabine Funke.
Eine Patientenverfügung solle deshalb ganz konkret schildern, wie man ärztlich behandelt werden möchte. Sollen im Endstadium einer tödlich verlaufenden Krankheit bei einer Lungenentzündung noch Antibiotika gegeben werden? Soll bei einem Koma nach Gehirnschädigung noch beatmet werden? Ist man mit einer Wiederbelebung nach einem Herz-Kreislauf-Versagen einverstanden? Grundsätzlich gilt: Die Patientenverfügung darf von einem Arzt keine Handlungen verlangen, die gegen Aktive Sterbehilfe zum Beispiel ist ausgeschlossen.
„Ja, das Thema ist schwierig. Aber hier im Haus ist es natürlich trotzdem sehr präsent“, sagt Pfarrer Matthias Welsch, der im Diakonissenhaus arbeitet und nach Vortragsende ebenfalls für Fragen zur Verfügung steht. „Häufig kommen Menschen zu mir in die Beratung, und füllen entweder ganz schnell etwas aus, oder sie kommen nie wieder“, berichtet Sabine Funke. Viele hätten Ängste, die sie ihnen zu nehmen versuche.
Nicht immer bedeutet der Verzicht auf künstliche lebenserhaltende Maßnahmen den Tod. Auch die alte Frau aus dem Eingangsbeispiel lebt noch lange weiter. „Eines Morgens verlangte sie nach einem Rührei. Einen Tag später aß sie ein Brot“, erzählt Sabine Funke. „Für ihre Angehörigen war es sehr beruhigend zu wissen, dass es wirklich ihr Wunsch war, weiterzuleben. Aus eigener Kraft.“