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Von – 9. Februar 2016

Volkskrankheit Enge

„Wie geht’s?” „Muss!” – auf so einen Gesprächsanfang folgen meist Klagen über Unzufriedenheit und gefühlten Druck von außen: „Ich bin nicht Herr meiner selbst, ich muss tun, was andere sagen, auch wenn ich selbst das nicht für zielführend halte…”

7 Wochen ohne Enge - Plakat zur diesjährigen Fastenaktion der Evangelischen Kirche.

7 Wochen ohne Enge – Plakat zur diesjährigen Fastenaktion der Evangelischen Kirche.

Die ungünstigen Umstände, die missgünstigen Anderen: Zwang von außen bewirkt Enge innendrin. Bedenken und Blockaden werden errichtet, und der Energieaufwand zur Erfüllung der Aufgaben steigt. Alles wird zur Mühe. Die Enge kann sich ein-nisten und zur Lebenshaltung werden, ja, zu einer hoch ansteckenden Befindlichkeitsstörung. Und das nicht nur individuell, sondern auch in einem größeren gesellschaftlichen Kontext: Nicht umsonst spricht alle Welt von der „German Angst”.

Enge erdrückt Kreativität, Lebensfreude und Offenheit. In Organisationen kennt man zudem die „anxious leaders”, Führungskräfte also, die von Ängsten getrieben werden, weil sie Kontrollverlust und Misserfolg fürchten, mit fatalen Folgen für die Unternehmenskultur.

Der Weg heraus führt kaum über simple Lebensrezepte. Empfehlungen wie: „Sieh das doch nicht so eng!” „Mach doch mal dein Herz weit!” „Lad dir doch einfach mal Leute ein!” „Gönn der doch ihren Erfolg!” „Mach dir doch mal einen schönen Tag!” erhöhen den Druck eher noch, wenn die Enge tief sitzt.

Achtsamkeitsübungen können nützlich sein. Wer übt, bewusst wohltuenden und stärkenden Erfahrungen nachzugehen, kann Lebensfreude neu entdecken und die eigenen Kräfte und Inspirationen mobilisieren. Ziel ist, Energie und Motivation nicht für den Widerstand aufzubrauchen, sondern für ein Weiterkommen zu nutzen: Aus dem „Muss” soll ein freier und souveräner Wille werden. Ein solcher Perspektivenwechsel geht oft auch mit einer persönlichen Neuorientierung in Beruf oder Beziehung einher.

Religion kann ebenfalls helfen, die Enge zu vertreiben, indem sie die fürsorgliche und befreiende Nähe Gottes zur Sprache bringt. So öffnet die biblische Schöpfungsgeschichte den Blick auf die Schönheit der Natur und auf die vielen Lebensmöglichkeiten von Wasser und Licht über Raum und Nahrung bis hin zu Sexualität und Familie. Als Ebenbild Gottes ist dem Menschen Kreativität mitgegeben. Die Geschichte von Jesus antwortet auf das Erschrecken über Böses mit dem Zuspruch: Es gibt die Chance des Neuanfangs. Die Heilige Geisteskraft schließlich ist Garantin dafür, dass die Weltgeschichte sich am Ende als Heilsgeschichte erweist.

In diesem Licht sind auch die Zehn Gebote nicht als Engführung des Lebens zu sehen, sondern als ein Ruf in die Freiheit: Sie ermöglichen Leben in Gerechtigkeit. „7 Wochen ohne”, die Fastenaktion der evangelischen Kirche, steht in diesem Jahr unter dem Motto: „Großes Herz! Sieben Wochen ohne Enge”. Näheres im Internet unter 7-wochen-ohne.de.

In einigen Gemeinden gibt es dazu in der Zeit zwischen Aschermittwoch und Ostern Andachten und Aktionen.

Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 9. Februar 2016 in der Rubrik Gott & Glauben, erschienen in der Ausgabe .

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Wilfried Steller ist Theologischer Redakteur von "Evangelisches Frankfurt" und Pfarrer in Frankfurt-Fechenheim.