Es ist sicher keine Bekehrungswelle, aber kommt doch in letzter Zeit immer häufiger kommt vor: dass Menschen, die als Flüchtlinge nach Deutschland gekommen sind, sich taufen lassen möchten. Wie gehen christliche Gemeinden damit um?
„Ich heiße Katayon Baumann“, schreibt die junge Frau in einer E-Mail an den Pfarrer einer Gemeinde in Frankfurt. „Ich komme ursprünglich aus dem Iran und lebe seit drei Jahren in Deutschland. Ich möchte, dass Sie mich taufen.“ Der Pfarrer ist überrascht. So eine Anfrage hatte er bislang noch nicht. Die beiden treffen sich in der Sakristei der Kirche.
Sie sei mit einem Deutschen verheiratet, erzählt Katayon, die in Wirklichkeit anders heißt. Daher ihr deutscher Nachname. Doch nun wolle sich ihr Mann von ihr scheiden lassen. „Ich weiß nicht, warum er mich nicht mehr liebt“, sagt sie und hat Tränen in den Augen. Dann wiederholt sie ihren Wunsch: „Ich will Christin werden. Können Sie mich taufen – jetzt?“
„So schnell geht das nicht“, erwidert der Pfarrer vorsichtig. Was sie vom christlichen Glauben wisse? „Er ist schöner, so friedlich, viel freier“, antwortet die junge Frau. „Erzählen Sie mir mehr – und dann taufen Sie mich!“ Anfragen wie diese sind keine Einzelfälle. In Zeiten von Flucht und Migration erleben Gemeinden immer häufiger, dass sich Musliminnen und Muslime für den christlichen Glauben und die Kirche interessieren.
Die Statistik bietet dafür keine allgemeingültigen Zahlen. Aber es gibt nicht nur in Frankfurt solche Beispiele. Eine Wiesbadener Gemeinde hat einen Taufkurs sowie einen Gottesdienst für iranische Christen ausgerichtet, zu dem 50 bis 60 Menschen kommen. In einer Landgemeinde im Süden Hessens hat sich eine Gruppe von acht Iranerinnen bei der Pfarrerin gemeldet, die zum Christentum konvertieren wollen. In Kassel sind es gleich mehrere Familien aus dem Iran, die die evangelische Gemeinde in der Nähe ihrer Erstaufnahmeeinrichtung kontaktiert haben. Die Gemeinde macht seit einigen Wochen einen Taufkurs mit ihnen.
„Unter den Asylsuchenden aus dem Iran gibt es eine starke Minderheit, die sich in Deutschland taufen lassen wollen“, beobachtet Jörg Bickelhaupt vom Zentrum Ökumene in Frankfurt. Er schätzt, dass jeder Fünfte aus dem Iran sich für den christlichen Glauben interessiere. „Bei Taufanfragen von Muslimen habe ich es eigentlich immer mit Iranern zu tun“, sagt auch Anke Leuthold, Pfarrerin für Flüchtlingsseelsorge am Flughafen Frankfurt.
Bei Behörden stehen Flüchtlinge, die sich zum Christentum bekehrt haben, oft unter Generalverdacht. Die Richter sind argwöhnisch, ob der- oder diejenige nicht nachträglich einen Asylgrund schaffen wolle. Denn für Apostasie, den Abfall vom Islam, droht in Ländern wie Iran die Todesstrafe. „Selbst geschaffener Nachfluchtgrund“ heißt das in der Gesetzessprache für Asylverfahren und wird in der Regel nicht anerkannt.
Auch Pfarrer und Gemeinden sind mitunter unsicher und fragen sich, was hinter dem Wunsch nach Taufe steht. „Vom Missionsauftrag der Kirche her sollten wir die Anfragen an erster Stelle als aufrichtige Suche nach Gott verstehen“, wirbt die Frankfurter Prodekanin Ursula Schoen. Bei vielen Menschen, die vor islamistischem Terror nach Deutschland flüchten, gebe es „eine Sehnsucht nach Religion, die nicht mit Gewalt verbunden ist“. Schoen hat an der Handreichung „Zum Umgang mit Taufbegehren von Asylsuchenden“ mitgearbeitet, die theologische und praktische Hinweise bietet, wie Gemeinden mit Taufanfragen von Asylsuchenden umgehen können.
Warum wollen vergleichsweise viele Menschen aus dem Iran konvertieren? „Sie erleben den schiitischen Islam als politisch ausgehöhlt und in Machtspiele verstrickt“, sagt Schoen. Atheismus sei keine Option. „Die Sehnsucht ist groß, weiterhin das Leben mit Gott zu verbinden“, erzählt Anke Leuthold von den Taufwilligen, die ihr in der Flüchtlingsseelsorge am Flughafen begegnen. Das Christentum sei für sie eine Religion, „die Frieden predigt, Gerechtigkeit lebt und Freiheit zulässt“. Bei dem Taufunterricht, den Leuthold in der Flüchtlingsunterkunft am Flughafen anbietet, erlebt sie großes Erstaunen, wie offen für kritische Fragen sie über den Glauben spricht. Viele verstünden nicht, warum sie nicht gleich getauft werden können. Wer sich zum Islam bekehrt, spricht vor zwei Muslimen als Zeugen das Bekenntnis „Es gibt keine Gottheit außer Allah, und Mohammed ist sein Prophet“. Die Untergrundkirchen im Iran praktizierten das ähnlich, erzählen Migranten von dort. Man spricht ein Aufnahmegebet an Jesus als dem Licht des Lebens und wird dadurch Christ.
Ähnlich hat das Katayon Baumann erwartet, als sie sich an den Pfarrer in Frankfurt wandte. Doch er rät ihr, erst einmal den christlichen Glauben und die Kirche kennenzulernen, Gottesdienste mitzufeiern, eine Gemeindegruppe junger Erwachsener zu besuchen. Ja, das wolle sie machen, sagt sie. Dann schreibt sie in einer Mail, sie müsse kurzfristig in eine andere Stadt. Sie werde sich wieder melden. Der Pfarrer antwortet ihr, er sei weiter gerne für sie da, hört aber nichts mehr von ihr.
Das Interesse am Christentum unter den Geflüchteten aus muslimischen Ländern stellt die Kirche vor eine Gretchenfrage: Wie haltet ihr es mit der Mission und Taufe? Die Antworten fallen, typisch evangelisch, unterschiedlich aus. Missionarisch Ambitionierte wittern Morgenluft und hoffen auf eine neue Bekehrungswelle. Andere raten zwar, den christlichen Glauben zu bezeugen und Menschen, die danach fragen, zu taufen, wenden sich aber gegen aktive Missionierung. Für die Evangelische Kirche in Deutschland sind Taufanfragen von Muslimen und Musliminnen nichts anderes als die Taufe von anderen Erwachsenen. Die gehen nicht im Schnellverfahren. Es braucht Zeit für Gespräche, oder für einen Taufkurs, um mit dem Christentum vertraut zu werden. Dem- oder derjenigen müsse klar sein, welche Folgen ein Übertritt in seiner muslimischen Familie und seinem Herkunftsland haben kann. Und dass man durch die Taufe nicht automatisch in Deutschland Asyl bekommt.