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Aktuell

Von – 1. April 2016

Auch Feministinnen dürfen stricken

Befreiung vom Konsumzwang oder neuer Konkurrenzdruck? Frauen aus drei Generationen sprachen über die Chancen und die Tücken des „Do-it-yourself“-Trends.

Feministisches „Do it yourself“: Die Journalistin Susanne Klingner bei ihrem Workshop im Evangelischen Frauenbegegnungszentrum. Foto: Ilona Surrey

Feministisches „Do it yourself“: Die Journalistin Susanne Klingner bei ihrem Workshop im Evangelischen Frauenbegegnungszentrum. Foto: Ilona Surrey

Irgendwie war es peinlich. Susanne Klingner erinnert sich gut, wie sie vor vielen Jahren mit dem Stricken anfing. Eine Art „guilty pleasure“ sei es gewesen, ein Vergnügen, dessen sie sich schuldig fühlte, fast als würde sie das moderne Frauenbild verraten. Dann hat Klingner, Jahrgang 1978, ein Buch geschrieben: Es heißt „Hab’ ich selbst gemacht“, und darin steht, wie sie ein Jahr lang fast alles, was sie brauchte, mit den eigenen Händen herstellte.

Beim Schreiben und Selbermachen hat die Journalistin, die unter anderem für die „taz“ und für die „Süddeutsche“ schreibt, interessante Entdeckungen gemacht. Sie strickte, nähte und buk, hämmerte und formte, und kreierte so einen halben Gemischtwarenladen für ihre Familie: Vom Käse bis zum Ketchup, vom „Kleinen Schwarzen“ bis zu den Schuhen, von der Seife bis zur Zahnpasta entstanden Dinge, für die sie sonst einfach in den Supermarkt um die Ecke gegangen wäre.

Selbst gemacht: Ein Lampenschirm aus zusammengerollten alten Flyern schmückte das Foyer des Evangelischen Frauenbegegnungszentrums beim „Do-it-yourself“-Workshop. Doch bei allem Spaß am Trend zum Selbermachen gilt zu bedenken: Wenn daraus Konkurrenzdruck entsteht, ist es nicht mehr lustig. Foto: Ilona Surrey

Selbst gemacht: Ein Lampenschirm aus zusammengerollten alten Flyern schmückte das Foyer des Evangelischen Frauenbegegnungs- zentrums beim „Do-it-yourself“-Workshop. Doch bei allem Spaß am Trend zum Selbermachen gilt zu bedenken: Wenn daraus Konkurrenzdruck entsteht, ist es nicht mehr lustig. Foto: Ilona Surrey

Bekannt geworden ist Susanne Klingner, die in Ostberlin geboren wurde und heute mit Mann und zwei Kindern in München lebt, allerdings durch etwas anderes: Sie ist Feministin. 2008 schrieb sie zusammen mit Meredith Haaf und Barbara Streidl das Buch „Wir Alphamädchen. Warum Feminismus das Leben schöner macht“; es gilt fast schon als moderner Klassiker. Sie ist auch Mitbegründerin des feministischen Internetportals „Mädchenmannschaft“ und setzt sich in der Initiative „Frau Lila“ für mehr Sichtbarkeit von Frauen im Netz ein. Ja, und sie strickt und liebt ihre Nähmaschine. Selbermachen kann nämlich auch Emanzipation bedeuten, Emanzipation von der Konsumgesellschaft zum Beispiel.

Es passt also wunderbar, dass das Evangelische Frauenbegegnungszentrum „EVA“ in der Nähe des Römers Susanne Klingner als Referentin zu einem Workshop über die Bedeutung des Selbermachens, englisch: Do-It-Yourself, eingeladen hat. Es geht an diesem Tag nicht nur ums Praktische, sondern auch um tiefer gehende Fragen: Was gibt mir Mut, mein Leben kreativ zu gestalten? Wie viel gesellschaftliche Verantwortung kann oder soll ich mit meinem Handeln übernehmen? Ist ein selbst gemachter Alltag überhaupt möglich?

Als sich die Teilnehmerinnen verschiedener Generationen – manche sind in ihren Zwanzigern, andere bereits in Rente – in den Stuhlkreis setzen, haben sie schon ein besonderes Werk des EVA-Teams passiert: Aus gerollten alten Flyern haben die Mitarbeiterinnen eine Lampe für ihr Foyer gebastelt.

Aber nicht nur bei Feministinnen liegt Selbermachen schwer im Trend. Neuere Zeitschriften wie „Flow“ oder „Landlust“ singen das Loblied der Handarbeit, erzählen von immer mehr beruflich eingespannten Stadtmenschen, die stricken, nähen, häkeln, backen, kochen, gärtnern, einkochen, reparieren und schmücken. Die Handarbeitsbranche ist im vergangenen Jahr um 13 Prozent gewachsen und machte einen Umsatz von 1,3 Milliarden Euro.

Handarbeit – ein Pflaster für die Wunden, die die Arbeitswelt schlägt? Oder einfach das Normalste der Welt? Beides ist wahr. Ein Glücksfall sind die ganz verschiedenen Frauen, die hier im Kreis sitzen und von ihren persönlichen Erfahrungen berichten. Eine erinnert sich an die 70er und 80er Jahre, als Stricken und Co. in alternativen Kreisen gern gepflegt wurden, auch als Protest gegen die Kernkraft. Eine junge Frau sagt, sie nähe sehr viel, seit sie sich aus einer Partnerschaft mit einem sehr konsumorientierten Mann gelöst habe. Eine ältere Teilnehmerin versteht den Hype um das Thema nicht, für sie habe es ihr Leben lang dazu gehört, mit den eigenen Händen für Dinge des täglichen Lebens zu sorgen. Eher habe sie es zeitweise als Erleichterung empfunden, dass es immer mehr zu kaufen gab.

Selbermachen als Trend, Selbermachen als Rückbesinnung. Gibt es womöglich sogar schon so etwas wie einen Zwang, sich immer mehr handwerkliche Techniken anzueignen und die Fotos der neuesten eigenen Deko- oder Backidee im Internet zu veröffentlichen? Also einen ganz und gar unfeministischen Konkurrenzdruck unter Frauen, das eigene Lebensumfeld so kreativ wie möglich zu kuratieren?

Eine Teilnehmerin in den Dreißigern, Mutter von zwei kleinen Kindern, erzählt, wie es auch Stress verursachen kann, mit dem unausgesprochenen Dogma umzugehen, stets etwas basteln und backen und nähen zu müssen. „Ich wurde schon mal schief angeschaut, weil der Adventskalender für meine Tochter nicht selbst genäht war, und ich staune immer wieder über die aufwendigen Motivtorten auf Kindergeburtstagen.“ Aber hier im EVA sind sich alle einig: Es geht um die Freude am Kreativsein und nicht darum, einen Wettbewerb auszurufen. Niemand muss basteln und sich unter allen Umständen eine Nähmaschine zulegen.

Und niemand sollte nur übers Selbermachen reden: Daher gab es am Nachmittag Gelegenheit, selbst zu basteln, zum Beispiel einen Kartenständer, hergestellt aus einem Buch, das man nicht mehr lesen mag. Wer die Seiten kunstvoll zusammenfaltet, hat ruck zuck eine schöne Verstau-Gelegenheit für Postkarten aller Art. Es muss ja nicht gleich ein selbst geschustertes Paar Schuhe sein.

Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 1. April 2016 in der Rubrik Kultur, erschienen in der Ausgabe , .

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Anne Lemhöfer interessiert sich als Journalistin und Autorin vor allem für die Themen Kultur, Freizeit und Gesellschaft: www.annelemhoefer.de.