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Aktuell

Von – 15. Mai 2016

Nicht ganz freiwillig

Viele Geflüchtete, die keine Chance auf Anerkennung in Deutschland haben, wählen die „freiwillige Ausreise“ als Alternative zur Abschiebung. Unterstützung finden sie bei der Evangelischen Beratungsstelle in Eschersheim.

Atiqullah Maywand (rechts) und seine Kollegin Farah Haidari beraten seit Jahrzehnten Flüchtlinge in Frankfurt. Großen Bedarf gibt es zur Zeit an Rückkehrberatung für Asylsuchende, die hier keine Chancen auf Anerkennung haben. Foto: Rolf Oeser

Atiqullah Maywand (rechts) und seine Kollegin Farah Haidari beraten seit Jahrzehnten Flüchtlinge in Frankfurt. Großen Bedarf gibt es zur Zeit an Rückkehrberatung für Asylsuchende, die hier keine Chancen auf Anerkennung haben. Foto: Rolf Oeser

Atiqullah Maywand sitzt in seinem Büro im Haus am Weißen Stein, man hört das Rauschen der Eschersheimer Landstraße. Er spricht ruhig, wählt seine Worte mit Bedacht. Das ist wichtig, denn die Menschen, die ihm gegenüber sitzen, sind fast immer verzweifelt, zumindest angespannt.

Atiqullah Maywand, 63, ist Sozialarbeiter und seit Anfang der 90er Jahre in der Flüchtlingsberatung der Evangelischen Kirche Frankfurt tätig. Ein aktueller Schwerpunkt seiner Arbeit ist die Rückkehrberatung. Meist sind es Geflüchtete, die keine Chance auf Anerkennung in Deutschland haben, die die „freiwillige Ausreise“ als Alternative zur Abschiebung wählen. Freiwillig stimmt also in den meisten Fällen nicht so ganz, es ist nur für einen Großteil der Ratsuchenden die beste unter mehreren schlechteren Lösungen.

„Bei den meisten Menschen, die zu uns kommen, sind alle rechtlichen Wege erschöpft“, sagt Maywand. Die meisten sind „ausreisepflichtig“, wie es im Amtsdeutsch heißt: Ihr Asylantrag wurde abgelehnt, oder die Chance einer Anerkennung ist gering.

Atiqullah Maywand hilft dann bei der Beschaffung der Reisedokumente, meldet der Ausländerbehörde die geplante freiwillige Rückkehr, damit die Abschiebung ausgesetzt wird, und organisiert den Rückflug.

Jeder Einzelfall ist anders. Hilfe gibt es etwa bei der Auflösung eines Mietvertrags, der Abmeldung von der Schule und der Fahrt zum Flughafen oder Busbahnhof. „Im Fall einer Abschiebung bekommt man eine Einreisesperre, die bis zu fünf Jahre dauern kann. Das wollen viele vermeiden“, erklärt er. „Freiwillig“ auszureisen sei eine Möglichkeit, die Selbstbestimmung über das eigene Schicksal zu behalten.

Die Reisekosten übernimmt die Internationale Organisation für Migration (IOM) im Auftrag des Bundesinnenministeriums und der Länder. Dabei ist unter anderem festgelegt, wer aus welchem Land wie viel finanzielle Unterstützung bekommt. Bund und Länder finanzieren das Rückkehrförderprogramm mit bis zu 14,9 Millionen Euro im Jahr.

Bis 2014 saßen in Maywands Büro pro Jahr kaum mehr als 20 Menschen mit diesem Anliegen. Voriges Jahr waren es schon 105, und allein von Januar bis April 2016 waren es 81 Fälle. Die Beratung nutzen vor allem Asylsuchende mit schlechten Erfolgsaussichten, etwa aus den Balkanländern. „Oft haben sie ihre gesamten Ersparnisse Schleusern überlassen“, weiß Maywand. Daher gibt es für rückkehrwillige Flüchtlinge auch eine finanzielle Starthilfe im Heimatland.

Atiqullah Maywand hat allerdings auch schon erlebt, dass Menschen ausreisen wollten, obwohl sie hier bleiben dürften. „Ich erinnere mich an einen jungen Mann aus Afghanistan, dem die Fernsehbilder über Angriffe auf Flüchtlinge große Angst gemacht haben, und der deshalb nicht bleiben wollte.“ Andere fühlen sich sehr einsam in Deutschland. „Sie sagen: Zuhause habe ich wenigstens eine Familie.“

Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 15. Mai 2016 in der Rubrik Stadtkirche, erschienen in der Ausgabe , .

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Anne Lemhöfer interessiert sich als Journalistin und Autorin vor allem für die Themen Kultur, Freizeit und Gesellschaft: www.annelemhoefer.de.