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Von – 11. Juli 2016

Geht doch!

Meditatives oder kontemplatives Gehen ist sowohl eine buddhistische als auch eine christliche Praxis. Die einen richten die Aufmerksamkeit dabei eher nach innen, die anderen nach außen. Ein Selbstversuch.

Buddha-Ausstellung vor einiger Zeit im Einkaufszentrum MyZeil. Die Exotik des Fernöstlichen übt auf viele Menschen im Westen eine starke Faszination aus. Foto: Susannah V. Vergau/picture alliance

Buddha-Ausstellung vor einiger Zeit im Einkaufszentrum MyZeil. Die Exotik des Fernöstlichen übt auf viele Menschen im Westen eine starke Faszination aus. Foto: Susannah V. Vergau/picture alliance

Wir gehen. Schritt für Schritt. Im Innenhof des Liebfrauenklosters. „Wenn die Glocke erklingt, erstirbt alles, und wir sind mit unserem Geist im Hier und Jetzt“, hat Pierre Gorsegner, buddhistischer Mönch aus dem Tibethaus in Bockenheim, gesagt. „Wir denken an einen lieben Menschen und legen diese Liebe achtsam in jeden Schritt.“

Ich nehme an einer Veranstaltung der Reihe „Sinn-Orte“ der Evangelischen Akademie teil. In dem kleinen Innenhof des Kapuzinerklosters, zu dem sonst nur die Mönche Zugang haben, steht ein steinerner Quader. In seine Oberfläche ist ein kleines schwarzes Kreuz geritzt, der Stein ist mit Wasser bedeckt, das an den Seiten herunterrinnt – ebenfalls in Kreuzesform. Gott, so heißt es in der Bibel, hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn für sie gegeben hat. Ist Liebe das, was Christentum und Buddhismus gemeinsam haben? Eine Liebe, die wie dieses rinnende Wasser aus der Kreuzfläche, niemals versiegt? Aber das ist eine christliche Vorstellung. Was glauben die Buddhisten?

Wir gehen. Schritt für Schritt. Ein Buddhist, der eine Gehmeditation macht, nimmt den Boden unter seinen Füßen wahr und vielleicht noch seinen Vordermann, erklärt uns der Mönch. Ansonsten soll er loslassen: alle Gedanken, Gefühle und Wahrnehmungen entspannt kommen und auch wieder gehen lassen. Immer wieder achtsam zum gegenwärtigen Augenblick zurückkehren. Ganz präsent sein. Gar nicht so einfach. Schon nach drei Minuten bin ich mit den Gedanken woanders. Aber man soll sich dann ja nicht ärgern, sondern freundlich, humorvoll und entspannt bleiben.

„Maitri“ – bedingungslose Freundlichkeit sich selbst gegenüber: Das ist nach buddhistischer Vorstellung deshalb so wichtig, weil man diese liebevolle Haltung dann auch anderen Menschen und ihrem Universum entgegenbringen kann. Also beim achtsamen Gehen Liebe üben, um sie nach außen ausstrahlen zu können. Wenn man es ernst nimmt, ist das richtig Arbeit. Um eine solche Ruhe auszustrahlen wie Gorsegner, muss man wohl jahrelang Meditation üben.

Auch ein Christ sollte wach und aufmerksam durch die Welt gehen. „Nichts soll uns profan sein“, hat die katholische Mystikerin Madeleine Delbrel gefordert. „Gott ist in allem“, sagt der Kapuzinermönch Christophorus Goe-dereis, und fordert uns auf, einmal rund um das Kloster durch die Straßen zu gehen und dabei den Blick eben nicht nach innen, sondern aufmerksam nach außen zu richten. Ich nehme wahr: die Holzgasse, ein schmutziges Grafitto auf einer Häuserwand, einen Obdachlosen, der Plastikfiguren auf einer Decke ausgebreitet hat, um sie zu verkaufen. Einen Blumenstand, Wortfetzen verschiedener Sprachen, einen Burger-King, die Klosterpforte. Ganz schön viel für den kurzen Weg.

Christliches Gehen sei ständiger Aufbruch, Unterwegssein, gestört Werden, auch mal angerempelt Werden, müde Werden trotzdem Weitergehen. Manchmal in die falsche Richtung Laufen und wieder Umkehren – „im festen Vertrauen darauf, dass jemand mitgeht“, sagt der Mönch. „Und dennoch mit der Freiheit, zu entscheiden, wohin man geht.“ Der Blick ist auf die Welt gerichtet, beim Anderen. Die äußere Erscheinungswelt wird nicht als Hindernis betrachtet, das den Weg zum Eigentlichen verstellt, sondern die Welt soll uns gerade angehen; noch im Geringsten können wir das Heilige erkennen. Wir sollen „dahin gehen, wo wir Gott nicht vermuten“, sagt Goe-dereis. Das können wir aber nur, weil wir nicht allein sind, weil Gott Mensch geworden, also so weit wie möglich auf uns zugegangen ist.

Buddhisten hingegen kennen keinen Gott, der sie begleitet. Sie streben danach, das Hier und Jetzt voll und ganz anzunehmen, um mit allem umgehen zu können. Welcher Weg führt eher zum Ziel? Wer bringt mehr Liebe in die Welt? Vermutlich ist es am besten, der Tradition treu zu bleiben, in die man hineingeboren wurde. Denn vielleicht ist es gar nicht so wichtig, welchen Weg man nimmt – Hauptsache man geht ihn.

Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 11. Juli 2016 in der Rubrik Gott & Glauben, erschienen in der Ausgabe .

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Stephanie von Selchow ist Redakteurin von "Evangelisches Frankfurt".