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Von – 27. Dezember 2016

Gnade vor Recht?

Mit dem Spannungsverhältnis von Recht und Gnade setzten sich eine Richterin und ein Bischof bei einer Diskussion im Historischen Museum auseinander. Eingeladen hatte die Evangelische Akademie Frankfurt.

Diskutierten im Historischen Museum über Gnade und Recht: Richterin Angelika Nußberger (Mitte) und Bischof Martin Hein (rechts). Eingeladen hatte Torsten Latzel von der Evangelischen Akademie Frankfurt (links), der das Gespräch moderierte. Foto: Anne-Rose Dostalek

„Allein aus Gnade“ sind Menschen vor Gott gerechtfertigt, und nicht, weil sie sich das mit guten Werken verdient haben – das ist eine der Kernthesen der Reformation. Doch heutzutage klingt nicht nur das Wort „Gnade“ etwas altertümlich. Generell dreht sich die gesellschaftliche Diskussion vor allem um Rechte und darum, wer was „verdient“ oder nicht. Ist „Gnade“ im 21. Jahrhundert überhaupt noch ein Wert von Bedeutung?

Angelika Nußberger, Richterin am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, beschrieb Gnade als „die Hoffnung, etwas zu bekommen, worauf man kein Recht hat“. Gewähren kann sie nur der jeweils Ranghöchste in einem Staat und in einer Gesellschaft. Insofern habe Gnade etwas Willkürliches und gehört von der Rechtslogik her eher in das Zeitalter des Absolutismus oder in die Hände von Despoten.

In modernen demokratischen Gesellschaften hingegen ist die Gnade dem Recht gewichen, und das wird als Fortschritt begriffen: „Ein verlässlicher, mit Recht gezähmter Staat ist für uns unverzichtbar geworden.“ Daher spielt der Begriff der Gnade auch in der Menschenrechtsdiskussion keine Rolle, denn es geht eben um Rechte. Aus ihrer Praxis als Richterin am europäischen Gerichtshof für Menschenrechte macht Nußberger deutlich, was das bedeutet: Dass es zum Beispiel auch für lebenslänglich Verurteilte immer noch eine Chance geben auf Überprüfung der Reststrafe gibt, oder dass Flüchtlinge nicht der Gefährdung ihres Lebens ausgesetzt und in einen Kriegsstaat zurück gebracht werden dürfen, das ist eben nicht, was ihnen „gnädig“ gewährt wird, sondern ein Recht. Grundwerte wie die individuelle Würde und das Recht auf Freiheit und Gesundheit dürfen Menschen nicht genommen werden.

Insofern hat es eine gewisse Logik, die Gnade vor allem im Bereich des Religiösen zu verorten. Dort könne Gnade „eine große und befreiende Kraft entfalten“, sagte Martin Hein, Bischof der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck: „Gnade fragt nicht nach Gegenleistung“. Laut Luther muss man sich Gott nicht als Strafenden und  Zürnenden vorstellen, der durch gute Taten versöhnt werden muss, sondern als Liebenden, der jedem Menschen seine Gnade schenkt. „Die Liebe Gottes befähigt uns, zu uns selber zu stehen. Selbst ein gescheitertes Leben ist von der Gnade Gottes umgriffen.“

Gibt es zwischen den beiden Konzepten der Gnade und des Rechts einen gemeinsamen Wertekern? Was sowohl sie Gnade Gottes als auch die moderne Menschenwürde auszeichnet ist, dass sie ohne Gegenrechnung und Leistung auskommen: Man muss nichts dafür tun, keine Bedingungen erfüllen, um sie zugesprochen zu bekommen. Doch anders als die Gnade sei die Menschenwürde ein einklagbarer Rechtsbegriff. Auf Menschenwürde hat man einen Anspruch, auf göttliche Gnade muss man vertrauen. Andersraum gibt es bei der Gnade einen Spielraum, den es im Recht nicht geben kann: Verbrecher dürfen müssen bestraft werden, alles andere würde gegen das Gleichheitsprinzip verstoßen.

Die Kunst besteht daher wohl vor allem darin, zu unterscheiden, welche Bereiche des Lebens besser im Bereich des Rechts, und welche besser im Bereich der Gnade aufgehoben sind. Problematisch findet Richterin Nußberger zum Beispiel, dass zunehmend Gerichte angerufen werden, um existenzielle menschliche Fragen zu klären, wie etwa das Recht auf Sterben. Denn mit jeder juristischen Antwort wachse der Zugriff des Staates auf zwischenmenschlichen Beziehungen: Sie werden verrechtlicht. Verloren gehe dabei das vertrauensvolle Miteinander in einer Gesellschaft.

Aus theologischer Sicht beklagte Bischof Hein das Unvermögen, mit dem Geschenk der Gnade umzugehen und daraus eine eigene Identität zu entwickeln. Stattdessen werde auf Rechte gepocht und Gottes freie Güte habe keinen Ort mehr.

Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 27. Dezember 2016 in der Rubrik Gott & Glauben, erschienen in der Ausgabe .

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Kommentare zu diesem Artikel

  • Friedrich Peter Niebling schrieb am 9. Februar 2017

    „Allein aus Gnade“ sind Menschen vor Gott gerechtfertigt,“

    Der Mensch ist niemals aus „Gnade“ vor Gott gerechtfertigt. Das wäre, als wenn Gott –um die Existenz des Menschen anzuerkennen- denjenigen begnadete, der den Menschen erschaffen hat. Wahr ist, -sofern jener Gott, den wir anbeten, als Schöpfer der Welt wahr ist- dass unsere Existenz, einschließlich allen „Fehlverhaltens,“ zu allerforderst durch sein Werk, also durch ihn selbst gerechtfertigt ist.