Arbeit, Wohnung, Familie: Die erste Flüchtlingskonferenz von evangelischer Kirche und Diakonie in Frankfurt zeigt auf, was für Geflüchtete wichtig ist. Die Aufgaben ändern sich, aber das Engagement in den Gemeinden bleibt groß.

350 Helferinnen und Helfer aus der kirchlichen Flüchtlingsarbeit in ganz Hessen trafen sich im Frankfurter Dominikanerkloster zum Austausch und zum Netzwerken. Foto: Diakonie Hessen/Arno F. Kehrer
An seinem Infostand hat Pfarrer Ingo Schütz einen Laptop aufgeklappt, aus den Lautsprechern dröhnt leise Rapmusik. Ein kurzer Videoclip zeigt, wie ein Breakdancer durch die Luft wirbelt, sich auf einer Hand um sich selbst dreht, immer wieder. Junge Männer in Turnschuhen versuchen, es ihm nachzumachen. Der professionelle Breakdancelehrer sei ein Flüchtling aus dem Iran, berichtet der Pfarrer aus Bad Vilbel. Einmal pro Woche biete er im Gemeindesaal der Christuskirche einen Workshop für Jugendliche an – deutsche und geflüchtete.
„Bei der Flüchtlingsarbeit findet ein Bewusstseinswandel statt“, ist Schütz überzeugt. Im Mittelpunkt stehe nicht mehr, „wie wir ihnen helfen können“, sondern was man gemeinsam tue: „Sie sind ein Teil von uns.“ Jetzt geht es vor allem um dauerhafte Integration, um Arbeit und Wohnung, kurzum: eine Perspektive.
Es geht um eine Perspektive
Das birgt neue Herausforderungen, auch für die Helferinnen und Helfer. Diese Einschätzung teilen viele Aktive auf der ersten Flüchtlingskonferenz der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) und der Diakonie Hessen in Frankfurt am Main. Rund 350 Menschen sind am 4. Februar ins Dominikanerkloster gekommen, um sich auszutauschen und zu vernetzen. Dicht an dicht stellen sie ihre Projekte vor, auf den Tischen stapeln sich Flyer.
Am Stand des Netzwerks Migration Frankfurt hängen Fotos von Marathonläufern in Trikots, einige mit heller, andere mit dunkler Hautfarbe. Wichtig bei den Aktivitäten sei das Miteinander, betont Pfarrer Thomas Stephan aus Frankfurt-Niederrad. Bei dem Projekt laufen sie gemeinsam, sie kochen, feiern und spielen. Am Anfang sei es darum gegangen, akute Nothilfe für Flüchtlinge zu leisten. „Doch jetzt gehören sie dazu.“
Viele Flüchtlinge können ihre Familien nicht nachholen
Ein Problem sei jedoch, dass viele Flüchtlinge ihre Familien nicht nachholen könnten. Der Pfarrer deutet auf Ali Azab neben sich am Stehtisch. Der junge Mann ist alleine nach Deutschland gekommen. Mit seiner Familie in Syrien steht er nur per „WhatsApp“ in Kontakt, sein Bruder sitzt in Griechenland fest. Ständig denke er an sie, berichtet der 27-Jährige. „Das ist Stress.“
Viele hier kritisieren, dass Flüchtlingen dadurch das Ankommen schwergemacht wird. Auch Kirchenpräsident Volker Jung sagt, dass ihm die Frage des Familiennachzugs persönlich sehr nahe gehe. Er verweist auf die psychischen Folgen. Wie sollten Syrer hier neu durchstarten, wenn sie im Kopf bei ihren Familien seien? Die Politik betone, Integration fördern zu wollen, beschränke aber den Familiennachzug. „Das ist ein Widerspruch“, sagt Jung.
Der Gang zum Anwalt ist schon Routine
Für Verunsicherung sorgt auch, dass die Aufenthaltserlaubnis vieler Geflüchteten zunächst auf ein oder zwei Jahre befristet ist. Wenn überhaupt. Wird ein Asylantrag abgelehnt, bedeutet das auch für die Helferinnen und Helfer eine Belastung. „So etwas macht betroffen“, sagt Pfarrer Axel Zeiler-Held aus Großen-Linden bei Gießen. Für viele Aktive gehört längst dazu, gemeinsam mit Flüchtlingen zum Anwalt zu gehen, damit sie Widerspruch einlegen. „Doch diese Ungewissheit ist echt schwierig“, berichtet Zeiler-Held.
Auch in Groß-Linden hat sich die Flüchtlingsarbeit verändert, nicht nur bei der Beratung. So wurde das Angebot der Fahrradwerkstatt erweitert. Das Projekt richtet sich nicht mehr nur an Flüchtlinge, sondern an alle Menschen mit geringem Einkommen. Dadurch soll der Kontakt gefördert werden.
Ein fester Stamm von Aktiven ist geblieben
Sowohl der Flüchtlingskoordinator der Hessischen Landesregierung, Staatsminister Axel Wintermeyer (CDU), als auch die rheinland-pfälzische Integrationsministerin Anne Spiegel (Grüne) würdigen im Dominikanerkloster das große Engagement. Und es hält an, so der Tenor der Konferenz. „Da lässt nichts nach“, betont Zeiler-Held aus Groß-Linden. Natürlich sei es nicht mehr der Ansturm der ersten Wochen, aber ein fester Stamm von Aktiven sei geblieben.
Und mehr als das. Überall ist die Rede von Einladungen zum Abendessen, von Patenschaften und Freundschaften. In Bad Vilbel haben der iranische Breakdancer und ein ehrenamtlicher Helfer gerade Silvester zusammen gefeiert. „Lange waren wir eine Kirchengemeinde für Flüchtlinge“, sagt Schütz. „Jetzt sind wir eine Kirchengemeinde mit Flüchtlingen.“
Kirchliche Arbeit mit Flüchtlingen: menschen-wie-wir.de.