In der deutschen Linken ist wenig so umstritten wie das Verhältnis zu Israel. Wo verläuft die Grenze zwischen berechtigter Kritik am Staat Israel und als „links“ verbrämtem Antisemitismus? Gestern Abend stellte sich Gregor Gysi den Fragen von Esther Schapira.
Der große Publikumsandrang in der Bildungsstätte Anne Frank zeigte die Brisanz des Themas, bei dem auch die Evangelische Akademie zu den Veranstaltern gehörte. Auch in der Partei „Die Linke“ werden gegensätzliche Positionen vertreten. Während die einen sich einer ausdrücklichen Solidarität zu Israel verschreiben, liegt anderen vor allem die Unterstützung der Palästinenserinnen und Palästinenser am Herzen.
Wie geht die Partei mit diesem Konflikt um? Dazu befragte die HR-Journalistin Esther Schapira Gregor Gysi, das wohl noch immer prominenteste Gesicht der Linken.
Persönlich mag man Gysi seine solidarische Haltung zu Israel abnehmen: Dass er nicht nur Antisemitismus theoretisch ablehnt, sondern auch großes Verständnis für das Sicherheitsbedürfnis Israels hat. Doch immer folgt die Relativierung auf dem Fuß: Es dürfe kein Tabu sein, Kritik an der Politik des Landes zu äußern. Weder dürfe es eine antisemitische Haltung gegenüber dem jüdischen Volk geben, noch dürfe aber auch das Schicksal des palästinensischen Volkes völlig vernachlässigt werden.
Deshalb trete er für das Existenzrecht beider Staaten ein, sowohl Israels als auch Palästinas, sagte Gysi. „Wir brauchen eine Zwei-Staaten-Lösung, und ich übe ganz klare Kritik am weiter voranschreitenden Siedlungsbau durch die Israelis. Ich befürworte die Sicherheit und Souveränität beider Staaten.“
Esther Schapira gab sich damit aber nicht zufrieden und forderte einer klarere Positionierung Gysis ein: Wie steht er zu den Vorwürfen, dass antisemitische und antizionistische Denkweisen in seiner Partei durchaus verbreitet sind? Dass manche Linke eine generelle Feindseligkeit gegenüber Israel vertreten? Wenn etwa das Existenzrecht Israels im Ende 2011 verabschiedete neue Parteiprogramm eigens betont wird – ist das nicht ein Indiz, dass es an dieser Stelle Handlungsbedarf gab?
Gregor Gysi erklärte das auch mit historischen Gründe, die noch in die SED-Vergangenheit der Partei reichen: „Die DDR wurde als Staat zuerst vom Irak anerkannt. Israel tat das nicht.“ Das könnte einer gewissen Sympathie gegenüber arabischen Staaten den Weg gebahnt haben. Und schließlich war Israel immer auch im Verdacht, der Klassenfeind zu sein: „Der Staat Israel wurde mit seiner westlichen Orientierung als die imperialistische Vormacht der USA gesehen.“
Dass die Bundeskanzlerin 2008 die israelische Sicherheit zur deutschen Staatsräson erklärt hat, befürwortet Gysi, auch angesichts des historischen Verhältnisses zwischen Deutschland und Israel. Allerdings betonte er auch: „Diese Haltung darf nicht dazu führen, das Verhältnis zu Palästina nicht gleichberechtigt anzugehen.“ Es gebe eine besondere Verantwortung gegenüber beiden Staaten: „Ein Linker muss sich an die Seite aller Schwachen und Benachteiligten stellen. Links ist international hilfsbereit und zwar allen ungerecht Behandelten gegenüber.“
Allerdings sieht Gysi durchaus die Gefahr eines wieder zunehmenden Antisemitismus. „Und neu ist, dass man sich zu dieser Einstellung bekennt.“