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Von – 10. Februar 2017

In Frankfurt stand die Reformation lange auf der Kippe

Frankfurt brauchte eine Weile, um sich zwischen Evangelisch und Katholisch zu entscheiden. Und die reformatorischen Impulse gingen nicht von der Kirche, sondern vom Humanismus aus. 

Jürgen Telschow arbeitet gerade an einer zweibändigen Geschichte des Protestantismus in Frankfurt. Der erste Band erscheint im Frühsommer. Foto: Rolf Oeser

Während in Wittenberg 1517 die Hammerschläge, mit denen Martin Luther seine 95 Thesen an der Schlosskirche angeschlagen haben soll, durch die Stadt hallten, blieb die Messe- und Krönungsstadt Frankfurt von den Ereignissen unberührt. Land auf, Land ab drängten Mönche und Nonnen, Priester und Laien auf Veränderung, doch in Frankfurt wurde 1519 noch ohne große Irritationen Karl V. zum katholischen deutschen König und zukünftigen römischen Kaiser gewählt.

Die Wurzel reformatorischen Denkens lag in Frankfurt im Humanismus begründet. „Aus der katholischen Kirche selbst heraus kam damals nichts“, sagt Telschow, „humanistisch geprägte Patrizier waren hier der Türöffner der Reformation“. Der Kirchenhistoriker arbeitet derzeit an einer zweibändigen Geschichte des Protestantismus in Frankfurt (1517 bis 2010), deren erster Teil im Frühsommer erscheinen soll.

In Frankfurt wurde auf Initiative eines Kreises von Patriziern, darunter Hamman von Holzhausen, Philipp Fürstenberger, Arnold von Glauburg und Claus Stalburg, als Gegengewicht zu den geistlichen Stiftschulen eine städtische „Junkerschule“ gegründet. Dafür wurde der Pädagoge und Humanist Wilhelm Nesen, ein Schüler und Freund des niederländischen Theologen Erasmus von Rotterdam, nach Frankfurt geholt. Der Rat der Stadt finanzierte den neuen Leiter der Schule, indem er auf einen Wachsoldaten verzichtete. Trotzdem musste sich Nesen anfangs als Nachtwächter noch etwas hinzuverdienen.

Bei der Buchmesse 1520 war Luther der Bestseller schlechthin

Zwar blieb Erasmus zeitlebens katholisch, doch nach Ansicht von Telschow hat sein Denken „in mancherlei Hinsicht Luther vorbereitet“. In Frankfurt jedenfalls begannen die Patrizier unter dem Einfluss Nesens, mit den Ideen Luthers zu sympathisieren. Wie sehr sich diese Ideen verbreiteten, zeigt der Verkauf lutherischer Schriften auf der Frankfurter Messe 1520: Ein einziger Buchhändler soll 1400 Exemplare verkauft haben.

Auf dem Weg zum Wormser Reichstag im Jahr 1521 übernachtete Martin Luther in Frankfurt. Der Kreis der ihn schätzenden Patrizier, darunter Hamman von Holzhausen, Philipp Fürstenberger und Arnold von Glauburg, diskutierte mit ihm bis in die Nacht. Luther besuchte bei der Gelegenheit auch die Junkerschule. Allerdings hatten sich auch seine Gegner formiert, allen voran der Theologe Johannes Cochläus, Dekan des Liebfrauenstifts. Möglicherweise waren dabei eher persönliche Konkurrenzen als theologische Fragen im Spiel: Cochläus hatte sich ebenfalls um die Rektorenstelle der Junkerschule beworben, doch Nesen war ihm vorgezogen worden.

Der Besuch Luthers in Frankfurt hinterließ jedenfalls Spuren. Nesen lud den Lutherschüler Hartmann Ibach nach Frankfurt ein, der am 9. März 1522 in der Katharinenkirche die erste evangelische Predigt hielt – heute ist eine Straße in Bornheim nach ihm benannt. Ibach predigte die Streitthemen der Zeit: den Sinn des Zölibats, die Heiligenverehrung, Reichtum und Sittenlosigkeit des Klerus. „Als er auch noch forderte, die Zinsen und Zehnten nicht mehr den Priestern und Mönchen, sondern den Armen zu geben, entstand gar ein zustimmendes ‚Murmurieren‘ im Publikum“, schreibt die Historikerin Sabine Hock.

Viele Leute waren bei der Kirche verschuldet

Die damalige Praxis des Geldverleihs ging nämlich so, erzählt Telschow: Geld leihen konnte man bei der Kirche und bei den Juden. Man brauchte den geliehenen Betrag aber nicht zu tilgen, sondern zahlte nur Zinsen, eben „ewige Zinsen“. Mehr als 400 Häuser waren in Frankfurt auf diese Weise beliehen, und in der Folge wurde die Kirche immer reicher und die Menschen verarmten.

Kritikwürdig war auch der Lebenswandel des Klerus: „Die Stiftsherrn lebte in Saus und Braus. Fast jeder Stiftsherr hatte seine Konkubine. Der Rat der Stadt Frankfurt hat mehrfach versucht dies einzuschränken“, erzählt Telschow. In den Jahren 1523 und 1524 bezog die Bevölkerung mehr und mehr evangelische Positionen und verlangte zum Beispiel, die Geistlichen selbst auswählen zu können. Die Bornheimer verweigerten die Zahlung des Zehnten, und die Sachsenhäuser formulierten den Vertrauensverlust zwischen Gläubigen und Priesterschaft so: „Wer nicht geliebt wird, dem wird nicht geglaubt.“

Aber von oben gab es auch Widerstand gegen solche aufrührerischen Ideen. Kaiser und Kurfürst übten Druck auf den Rat der Stadt aus. Der evangelische Theologe Johann Sartorius durfte seit November 1524 nicht mehr in der Katharinenkirche predigen. Aber die Frankfurter Bevölkerung ließ sich nicht einschüchtern. Im April 1525, auf der Höhe des Bauernkrieges, kam es zum „Zünfteaufruhr“. Die Aufständischen übernahmen die Macht und formulierten Forderungen, zu denen auch eine Reform des Kirchenwesens gehört.

Angst um das Privileg der Messe- und Wahlstadt

Doch als die Bauernkriegsbewegung endgültig niedergeschlagen wurde, musste sich auch die Stadt Frankfurt den Fürsten beugen. Immerhin konnten die beiden eingestellten evangelischen Prädikanten bleiben. In den folgenden Jahren lavierte der Rat mehr oder weniger um das Thema herum. Einerseits teilte man reformatorische Ideen, andererseits wollte man das Privileg der Messe- und Wahlstadt nicht gefährden – immerhin wurden ja in Frankfurt die (katholischen) Kaiser des römisch-deutschen Reiches gewählt.

1530 beschäftigte sich der Augsburger Reichstag mit den Konfessionstreitigkeiten, wozu  die Protestanten ihre Theologie im so genannten „Augsburger Bekenntnis“ zusammenfassten. Als der Reichstag trotzdem Partei für die katholische Seite ergriff,  weigerte Frankfurt sich, die vom Kaiser vorgelegten Religionsbestimmungen zu unterschreiben. Die Strafe folgte auf dem Fuße: Die nächste Königswahl, nämlich die von Ferdinand im Jahr 1531, fand nicht in Frankfurt, sondern in Köln statt.

Das heizte die anti-katholische Stimmung in Frankfurt noch weiter an. Es kam zu bildersturmartigen Verwüstungen und tumultähnlichen Ausschreitungen gegen die so genannte „altgläubige Geistlichkeit“. An Weihnachten 1531 verhinderten Hunderte Männer und Frauen mit Lärm und Demonstrationen das Hochamt im Dom. Der Rat gab schließlich dem Druck der Straße nach: Im April 1533 wurde der katholische Kultus in Frankfurt verboten.

Seit 1548 ist Frankfurt eine gemischtkonfessionelle Stadt

Die Folge waren wirtschaftliche Repressalien und eine Klage vor dem Reichskammergericht. Nach damaligen Recht hatte sich Frankfurt mit Einführung der Reformation schuldig gemacht. Die Stadt trat deshalb 1536 dem Schmalkaldischen Bund bei, der eine Art Schutzbündnis der reformatorischen Gebiete darstellte. Kurmainz verzichtete daraufhin, weiter gegen Frankfurt zu prozessieren. Der Rat seinerseits musste dem Augsburgischen Bekenntnis beitreten, war damit an die lutherisch geprägte Reformation gebunden und ordnete mit Hilfe des Reformators Martin Bucer die Kirchenverhältnisse neu. Den Schmalkaldischen Krieg 1546/47 zwischen Kaiser Karl V. und den protestantischen Landesfürsten und Städten finanzierte Frankfurt bündnistreu mit, woraufhin kaiserliche Truppen die Stadt kurzzeitig besetzten. 1548 wurde daraufhin der katholische Gottesdienst im Dom,und in den Stiftskirchen wieder erlaubt. Seither duldete das lutherische Frankfurt die verbliebene katholische Minderheit.

Für Jürgen Telschow eine durchaus im Ergebnis zufriedenstellende Frankfurter Politik: „Die Politik des Rates zwischen 1521 und 1555 war ein Sich-Durchwinden, aber letztlich erfolgreich.“ Bei den Forschungen hat er entdeckt „wie spannend die Reformationszeit war und wie lange der Erfolg auf der Kippe stand.“

Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 10. Februar 2017 in der Rubrik Stadtkirche, erschienen in der Ausgabe , .

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Kurt-Helmuth Eimuth ist Mitglied in der Redaktion von "Evangelisches Frankfurt". Mehr über den Publizisten und Erziehungswissenschaftler ist auf www.eimuth.de zu erfahren.