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Von – 16. Februar 2017

Sterben wie Jesus? Die zweifelhafte Rolle von Pfarrern im Krieg

Mit einer dubiosen Opfertheologie haben Wehrmachtsseelsorger im Zweiten Weltkrieg die Soldaten an der Ostfront nicht nur getröstet, sondern ihre Rolle auch christologisch aufgeladen. Ein neues Buch untersucht die unrühmliche Rolle von Pfarrern in der Wehrmacht.

Stirbt nach der Legende von der „sauberen Wehrmacht“ im Zweiten Weltkrieg auch die von der „unpolitischen Wehrmachtsseelsorge“? Das untersucht die Historikerin Dagmar Pöpping in ihrem neuen Buch „Kriegspfarrer an der Ostfront“. Im Haus am Dom stellte sie ihre Ergebnisse dem Frankfurter Publikum vor.

Ihre Rolle machte die Kriegspfarrer – ob sie wollten oder nicht –  zu Dienern zweier Herren: Zum einen waren sie zum seelsorglichen Beistand für die Soldaten verpflichtet, andererseits aber auch zur theologischen bis ideologischen Rechtfertigung für das Kriegsgeschehen, in das die Soldaten als Täter und Opfer verwickelt waren.

Hauptsächlich geschah das durch eine fragwürdige Analogiebildung zwischen dem Opfertod Jesu Christi und dem Tod der Soldaten im Krieg, wie die Autorin deutlich macht: „Es lässt sich festhalten, dass die christliche Interpretation des Soldatentodes als Nachfolge Christi und Teilhabe am christlichen Heilsgeschehen von der Wehrmachtsseelsorge beider Konfessionen intensiv vertreten wurde. Dafür wurde der von den Machthabern geforderte ‚Heldentod‘ in das Heilsgeschehen vom Opfertod Jesu integriert und gleichsam christlich aufgeladen.“

Der Bolschewismus galt als widergöttliches System

Hinzu kam eine teilweise Übereinstimmung mit den Kriegszielen der Politiker und Militärs. Der Bolschewismus galt auch den Kirchen als widergöttliches System, das zu bekämpfen manche als ‚Kreuzzug‘ deuteten. Pöpping fasst die kirchliche Stimmungslage so zusammen: „Der Krieg gegen die Sowjetunion entsprach christlichen Interessen. Er ließ sich nicht nur als christlicher Verteidigungskrieg rechtfertigen, sondern auch als christlicher Angriffskrieg zur Befreiung eines vom Kommunismus unterdrückten Volkes.“ (S.41)

Begeisterte Berichte über wiedereröffnete Kirchen und nach Jahrzehnten wieder Gottesdienst feiernde Russen schienen diese Deutung zu bestätigen. Hitlers Politik war freilich eine andere. Schon im August 1941 verbot das Oberkommando der Wehrmacht Verbrüderung mit der einheimischen Bevölkerung ebenso wie die Nutzung oder Instandsetzung russischer Kirchen.

Bleibende Diskussion über die Grenzen von Militärseelsorge

Die NS-Politik zielte nicht auf einen ‚Kreuzzug‘ (der Begriff war staatlich verpönt), sondern auf die Versklavung oder Vernichtung der einheimischen Bevölkerung. In persönlichen Berichten und Notizen beschreiben die Pfarrer ungeschminkt die Ermordung von Kriegsgefangenen und jüdischen Zivilisten. Einzelne Stimmen dazu kommen einer Rechtfertigung durch klassischen Antijudaismus nahe; eine einzige – erfolglose – Protestaktion ist aktenkundig.

Das Fazit der Autorin ist vorsichtig, aber deutlich: „Der theologische Umgang der Kriegspfarrer mit dem Krieg gegen die Sowjetunion verstellte eher den Blick auf Kriegsverbrechen und Völkermord, als dass  er ihn öffnete, denn er bediente sich einer Opfertheologie, die nicht das Töten des Feindes zum Thema machte, sondern das ‚Sich-Umbringen-lassen‘.“ Ihre  materialreiche und sorgfältige Untersuchung bietet nicht nur zeitgeschichtlich neue Perspektiven, sondern regt auch zur grundsätzlichen Diskussion der Chancen, Grenzen und Risiken von Militärseelsorge an.

Dagmar Pöpping: Kriegspfarrer an der Ostfront. Evangelische und katholische Militärseelsorge im Vernichtungskrieg 1941-1945. Göttingen 2017. 275 Seiten. 70 Euro.

Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 16. Februar 2017 in der Rubrik Bücher & Filme, erschienen in der Ausgabe .

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