Hinweis

Diese Website wurde am 28. November 2017 archiviert. Neues Online-Angebot: Evangelische Kirche in Frankfurt.

Aktuell

Von – 1. Dezember 2006

Evolution und Bibel passen zusammen

Kultusministerin Karin Wolff (CDU) möchte an hessischen Schulen auch die christliche Schöpfungslehre einbezogen wissen. Der Verband Deutscher Biologen fürchtet, die Ministerin wolle damit die Evolutionstheorie in Frage stellen. Doch der biblische Schöpfungsbericht und wissenschaftliche Erkenntnisse können nicht gegeneinander ausgespielt werden.

Karin Wolff, die auch Mitglied des Kirchenparlaments der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau ist, findet es wünschenswert, dass die „naturwissenschaftliche Theorie“ über die Entstehung des Lebens und des Menschen durch philosophische und theologische Fragen ergänzt wird. Dabei gehe es darum, „die Bibel ernst, aber nicht wörtlich zu nehmen“. Die Äußerungen der Ministerin haben bei Fachverantwortlichen wie bei Politikern Entrüstung ausgelöst. Nicht nur der Biologenverband, auch die Landtagsfraktion der Grünen wirft Wolff vor, sie stelle einen religiösen Mythos auf eine Stufe mit einer wissenschaftlichen Lehre.

Die Ministerin wäre in der Tat schlecht beraten, wollte sie die Schöpfung als Alternativmodell zu naturwissenschaftlichen Erkenntnissen sehen. In diese Richtung geht die Bewegung des Kreationismus („creatio“ heißt „Schöpfung“), der in den USA bereits sehr verbreitet ist und auch nach Deutschland herüberschwappt. Die Kreationisten werten die Theorien zur Evolution als rein hypothetisch und verstehen die biblischen Schöpfungsgeschichten so, wie sie da stehen. Die Entstehung des Menschen und die Artenvielfalt der Erde führen sie nicht auf einen langen Prozess der Mutation und Selektion zurück. Sie sehen vielmehr das Leben als Produkt göttlicher Schöpfung („intelligent design“), da es viel zu komplex sei, um allein durch zufällige Evolution entstanden zu sein.

Die Texte am Anfang der Bibel wollen jedoch anderes sagen. Gleich zwei Schöpfungsgeschichten erzählen in verschiedener Weise die Erschaffung unserer Lebenswelt als Umwandlung lebensfeindlicher Umstände in solche, die dem Leben zuträglich sind. Schon dieses Nebeneinander weist darauf hin, dass es hier nicht um naturwissenschaftliche und his­ torische Wahrheit geht. Da haben die Urknall-Theorie zur Entstehung des Universums und die Evolutionstheorie zur Entwicklung der Arten mehr für sich. Doch die Erkenntnis, wie alles war, zeigt nur eine Seite der Medaille und erklärt noch nicht, was es für die Menschen bedeutet, in der Welt zu leben, welchen Sinn ihre Existenz besitzt, welchen Maßstäben sie in ihrem Denken und Handeln folgen sollen, wie sie schließlich mit den Schwierigkeiten und der Begrenztheit ihres Daseins umgehen können.

Genau für diese Fragen steuert die biblische Theologie ihre Wahrheit bei. In den Schöpfungsgeschichten findet sie die Existenz des Menschen gedeutet: Er ist kein unbedeutendes Staubkörnchen im Universum, sondern Gottes geliebtes Geschöpf, bedacht mit einer unverlierbaren Würde; Mann und Frau stehen auf einer Stufe. Die Menschen sind nicht in eine unwirtliche Welt geworfen, sondern finden gewissermaßen ein gemachtes Nest vor. Sie sind keine instinktiv agierenden Raubtiere, sondern mit planender Vernunft begabt. Menschen sind allerdings auch weder unfehlbar noch unendlich, vielmehr besitzen sie gegenüber Gott eine mangelhafte Integrität und sind hinfällig. Die Theologie liefert damit genau die Wahrheit, für die die Naturwissenschaften schlicht nicht zuständig sind. Die Bibel beschäftigt sich mit der geistig-geistlichen Dimension des Menschenlebens. Deshalb konkurriert sie nicht mit den Naturwissenschaften, sondern zum Beispiel mit der Philosophie um die rechte Deutung des Menschlichen.

Insofern ist der „christliche Mythos“ nicht von gestern, und es wäre ein lohnenswertes Unterfangen, wenn Lehrerinnen und Lehrer im Biologie- oder Religions-unterricht der ministerlichen Anregung folgen und in einen Dialog eintreten, die jeweiligen Leistungen ihrer Theorien hervorheben, und die Kinder mit dem scheinbaren Widerspruch zwischen Bibel und naturwissenschaftlichen Erkenntnissen nicht alleine lassen: Die Biologie weiß viel von der Entstehung und Geschichte des Lebens auf der Erde, die Theologie weiß, was der Lebensbewältigung dient. Biologie und Theologie haben einander ohnehin viel zu sagen, wenn zum Beispiel über Gentechnik oder über Grenzfragen des Lebens wie Abtreibung oder Sterbehilfe zu sprechen ist. Außerdem ist fächer-übergreifendes Lernen heute angesagt. Wissen ist immer noch die beste Vorbeugung gegen Versuche, dem Intellekt Scheuklappen anzulegen.

 

Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 1. Dezember 2006 in der Rubrik Gott & Glauben, erschienen in der Ausgabe .

Artikel teilen: E-Mail Facebook Twitter Google+

Wilfried Steller ist Theologischer Redakteur von "Evangelisches Frankfurt" und Pfarrer in Frankfurt-Fechenheim.