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Aktuell

Von – 1. März 2000

Mit dem Bösen leben

In der zerrissenen Welt öffnet sich ein Weg

Wohin wir schauen, werden wir – unterstützt von den Medien – mit Gewalt, Zerstörung, Hass, Lüge und Gleichgültigkeit konfrontiert. Das Böse hat viele Gesichter. Wer mit Bezug auf den Glauben darüber nachzudenken beginnt, sieht sich unversehens auf eine Rotationsscheibe versetzt, die Schwindel erregt.

Der Zweifel ist groß, ob der Glaube an Gott eine brauchbare Perspektive in dieser Sache bietet. So lässt etwa Georg Büchner im dritten Akt seines Dramas „Dantons Tod“ den Gefangenen Payne sagen: „Warum leide ich: das ist der Fels des Atheismus. Das leiseste Zucken des Schmerzes, und rege es sich nur in einem Atom, macht einen Riss in die Schöpfung von oben bis unten.“ Was kann man hier sagen, wenn man nicht bloß beschwichtigen, verharmlosen oder gar ganz schweigen will? Was ist hier die Perspektive des Glaubens?

Martin Luther hat einmal darauf hingewiesen, dass der christliche Glaube gerade im Angesicht des Bösen keine allgemeine Welterklärung bereit stellen dürfe. Selbst dort, wo der christliche Glaube im Widerspruch gegen das Bestehende orientierende Kraft entfaltet, erfolgt sie nicht aus der Einsicht in die absolute Stimmigkeit der erfahrenen Welt. Dem Bösen in der Welt einen sinnvollen Platz zuzuweisen, ist von daher unmöglich. Auch wenn die Klage des angefochtenen Glaubens vor Gott zum Lob Gottes fortschreitet, wie dies etwa in vielen Psalmen der hebräischen Bibel der Fall ist, so wird damit gerade kein erfahrenes Leiden erklärt oder aufgelöst. Im Gegenteil, der radikalen Sinnlosigkeit des Leidens und des Bösen kommt im Glauben an Gott geradezu konzentrierte Aufmerksamkeit zu. Viele Schriften der Bibel zeugen davon.

Doch was könnte die orientierende Kraft des Glaubens sein, was ist möglicherweise seine Macht im Angesicht der Mächte des Bösen? Blickt man auf die Schriften der hebräischen und christlichen Bibel, dann könnte die in ihr vielfältig ausgedrückte Erfahrung vielleicht so gefasst werden: Inmitten einer zerrissenen Welt tut sich ein Weg des Lebens auf, eine Macht, die nicht in den Untergang zerrt. Und dieser Weg ist der Weg des Glaubens an den Gott des Lebens. Die Bibel ruft dazu auf, sich ihm zuzuwenden: in Fröhlichkeit und Freude, aber eben auch klagend und wenn nötig schreiend. Wer diesen Schritt auch gerade wider den Augenschein wagt, erringt nicht nur ein neues Selbstverständnis, sondern auch ein anderes Verhältnis zur Welt. Im Glauben erfährt der Mensch Gott selbst als den alle menschliche Erfahrung überschreitenden Grund der Hoffnung.

Nach christlichem Verständnis hat diese Hoffnung ihren Grund in Jesus Christus. Das Bekenntnis zu ihm ist der Einspruch gegen den Augenschein, demzufolge eben nicht Gott, sondern das Böse, das Leiden und der Tod die Macht in dieser Welt haben. Im Glauben an die Auferstehung des sinnlos ermordeten Jesus aus Nazareth drückt sich aus, dass die Hoffnung des Glaubens auf einem handelnden Gott beruht, der mitten unter uns am Leiden leidet und doch dem Bösen nicht das Feld überlässt. Die Mächte des Bösen, sie haben nicht das letzte Wort, nicht sie sind es, die als Sieger hervor gehen in Geschichte und Universum, sondern der Gott, der in Jesus Christus seinen Lebens- und Rettungswillen kund getan hat.

Das ganze Leben im Lichte dieser Verheißung zu begreifen, bedeutet dann aber, das Leben in seiner Zerrissenheit mit anderen, befreiten Augen sehen zu lernen. Denn das Böse verliert seine radikale Zerstörungsmacht, wenn wir den Gott des Lebens nicht aus unserem Horizont verlieren. Dieser Perspektivwechsel des Glaubens, dieser „fröhliche Wechsel“ (Martin Luther), ist nicht erzwingbar, auch nicht aus der Logik der Welt ableitbar, sondern allein im Vollzug des eigenen Lebens selbst als gnadenvolles Geschenk Gottes immer wieder aufs neue zu fassen.

Das Kreuz Christi bringt die Fragen nach dem Bösen nicht zum Verstummen. Das Unfassbare wird nicht erklärt. Doch es bleibt auch nicht in sich selbst verschlossen, sondern wird hinein genommen in einen Glauben an einen Gott, der seine Schöpfung nicht verloren gibt. Das christliche Kreuz ist daher nicht nur ein Zeichen des Leidens, sondern zugleich auch ein hoffnungsvolles Zeichen der Befreiung.

Da wir jedoch diese Botschaft immer wieder neu fassen und wider den eigenen Zweifel erringen müssen, bedürfen wir der permanenten Erinnerung und Vergewisserung in Predigt und Sakrament.

Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 1. März 2000 in der Rubrik Gott & Glauben, erschienen in der Ausgabe .

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Christian Schwindt ist Pfarrer bei der Evangelischen Erwachsenenbildung Frankfurt.