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Aktuell

Von – 1. April 2000

Komm, du Geist der Wahrheit

Zu Pfingsten feiern Christinnen und Christen die Gründung der Kirche. Doch deren Geschichte hat auch ihre dunklen Seiten: Glaubenskriege, Verfolgung Andersdenkender, gewaltsame Missionierung fremder Länder haben schmerzliche Erinnerungen hinterlassen. Heute gehen Kirchen aus verschiedenen Ländern und Konfessionen wieder aufeinander zu – „Gemeinschaft in Vielfalt“ ist ihr Motto, ganz im Geist des ursprünglichen Pfingstens.

Ein beeindruckendes Bild ist im zweiten Kapitel der Apostelgeschichte aufgezeichnet: Fünfzig Tage nach Ostern, auf einem großen Wallfahrtsfest des Volkes Israel, treten die Jünger an die Öffentlichkeit. Sie haben die Angst vor Verfolgung und Verurteilung verloren, predigen den auferstandenen Jesus Christus – laut und für alle verständlich.

Die aus verschiedenen Ländern angereisten Juden, die je nach Herkunft ganz verschiedene Sprachen sprechen, können es nicht fassen, daß sie trotzdem alles verstehen, was die Jünger sagen. Während manche ergriffen zuhören, retten sich andere in ironische Distanz: Das gibt’s doch gar nicht, die müssen ja betrunken sein! Petrus aber macht ihnen klar: Was ihr hier erlebt, das hat nichts mit Weingeist zu tun, sondern mit dem Geist Gottes. Durch ihn haben wir den Mut und die Worte gefunden, euch die Wahrheit zu sagen. Und diese Wahrheit heißt: Jesus von Nazareth, den hat Gott aus dem Tod auferweckt und ihn zum Herrn und Heiland der Welt gemacht.

Ergriffen und überzeugt beschließen viele nach diesem Erlebnis, sich den Jüngern und Jüngerinnen anzuschließen. Von ihnen heißt es: Sie blieben einmütig beieinander – in der Lehre der Apostel, im Feiern des Abendmahls, im Gebet – die erste christliche Gemeinde entsteht. Ein Bild voller Überzeugungskraft und Dynamik. Pfingsten: Geburtstag der Kirche.

Doch die eine Kirche, in der alle einmütig beieinander waren, gab es nur kurze Zeit. Und die Freude über dieses Bild der Einigkeit wird getrübt durch ein zweites Bild: Unterschiedliche Auffassungen über die rechte Glaubenslehre führen zu Abspaltungen und gegenseitiger Ablehnung. Von verschiedenen Seiten wird der Anspruch erhoben, in Vollmacht zu sprechen, allein richtig zu handeln. Dazu gehört auch die Zeit der Reformation, die eine Reform der Kirche sein wollte und von dieser doch nicht anerkannt wurde – fortan standen Katholizismus und Protestantismus gegeneinander.

Schlimme Erinnerungen gehören zu diesem Bild: Ketzerverbrennungen, Bann und Vogelfreiheit, sogenannte Glaubenskriege, die doch oft nur als Vorwand für Machterweiterung dienten. Dazu die Vertreibung ganzer christlicher Gruppen aus ihrer Heimat, weil ihre Glaubenspraxis nicht in allen Stücken der herrschenden Lehre entsprach: Waldenser und Hugenotten, Mennoniten und viele andere Gemeinschaften blicken auf eine schmerzhafte Vergangenheit zurück. Der Geist der Wahrheit, der Geist von Pfingsten ist oft überhaupt nicht mehr zu erkennen.

Auch in der Weltmission schien es oft wichtiger, Menschen für die eigene Konfession zu gewinnen, als für das Evangelium Jesu Christi. Aber hier kam es auch zuerst zu einem Umdenken – weg von festgefahrenen konfessionellen Leitvorstellungen, hin zum Gedanken einer weltweiten christlichen Gemeinschaft, einem Zusammenleben in der Ökumene. Der Geist von Pfingsten spielte eine entscheidende Rolle im Miteinander der Kirchen und Konfessionen.

In Grundzügen entstand so, zu Beginn des 20. Jahrhunderts, ein drittes Bild. Ein Bild, das sich neu orientieren will an jenen Anfängen in Jerusalem, vor fast 2000 Jahren. In der Weltmissionskonferenz von Edinburgh, 1910, wurde dieses gemeinsame Ziel bekräftigt. Am deutlichsten erkennbar wurde es in der Gründung des Ökumenischen Rats der Kirchen, 1948, dem inzwischen über 300 Kirchen aus allen Teilen der Welt angehören.

Die Programme und Erklärungen dieser ökumenischen Bewegung werden mit Leben erfüllt, indem Christen und Christinnen an der Basis gemeinsam handeln, in den Orten, Städten und Regionen ihre Gemeinsamkeit im Geist Gottes bekennen und feiern. Wo in diesem Geist auf die christliche Zukunft hingearbeitet wird, entsteht, erst in Umrissen und wenigen skizzenhaften Strichen zu erahnen, ein viertes Bild. Es zeigt ein neues Zusammenleben der Religionen. Denn wo Menschen von gegenseitiger Verachtung zur Achtung füreinander finden, von Mißtrauen zu Vertrauen, von Abwendung zur Zuwendung, da sind Bekenntnis und Dialog kein Widerspruch mehr.

Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 1. April 2000 in der Rubrik Gott & Glauben, erschienen in der Ausgabe .

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