In seiner Schöpfung hat Gott dem Menschen alles gegeben, was er zum Leben braucht. Aus lauter Güte und Barmherzigkeit, ohne danach zu fragen, ob der Mensch dies auch verdiene.
Diese grundlegende Überzeugung führte Martin Luther dazu, in seinem umfangreichen Werk immer wieder über die Dankbarkeit zu schreiben, die der Mensch Gott für dessen wohlgeordnete Schöpfung schulde. In seiner 1521 veröffentlichten Schrift “Das Magnificat, verdeutscht und ausgelegt” erzählt er dazu eine Anekdote, die er ebenso kurz wie treffend kommentiert:
“Beispielsweise lesen wir, daß zurzeit des Konstanzer Konzils zwei Kardinäle über Land ritten und einen Hirten trafen, der weinte. Der eine der Prälaten, ein gutmütiger Mann, wollte nicht vorüberreiten, sondern den Weinenden trösten. So ritt er zu ihm und fragte ihn, was er hätte. Der Hirt aber weinte sehr und sträubte sich lange zu reden, worüber der Kardinal betrübt war. Zuletzt fing der Hirt an, zeigte auf eine Kröte und sagte: ‚Ich weine darüber, daß Gott aus mir ein so ansehnliches Geschöpf gemacht hat, nicht ein so ungestaltetes wie dies Erdentier. Sonst habe ich das nie erkannt, ihm nie dafür gedankt und ihn nicht gerühmt.’ Der Kardinal stand in sich gekehrt und entsetzte sich vor der Aussage so, daß er von seinem Maultier fiel und man ihn in die Hütte tragen mußte. Er rief: ‚O heiliger Augustin, wie wahr hast du gesprochen! Die Ungelehrten stehen auf und nehmen an unserer Statt den Himmel in Beschlag, und wir mit all unserem gelehrten Wissen verharren im Irdischen.’
Meine Ansicht darüber ist: Der Hirt war weder reich noch mächtig noch angesehen, und dennoch hat er die Schöpfung Gottes in Dankbarkeit so gründlich erkannt, daß er mehr darin fand, als er fassen konnte.”