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Von – 1. September 2000

Der Kreisel trennt nicht mehr

„Unten im Dorf“ sagen die Leute aus der Ferdinand-Hofmann-Siedlung, wenn sie vom alten Sindlinger Dorfkern reden. Die von „unten“ gehen zuweilen die Sindlinger Bahnstraße hoch, um die S-Bahn nach Frankfurt zu nehmen. Und Ortsfremde, die verlieren sich ziemlich selten in diese Gegend. „Wer Sindlingen nicht sucht, der kommt auch nicht her“, sagt Pfarrer Ulrich Vorländer. Kein Wunder: Der Stadtteil liegt im westlichsten Zipfel Frankfurts, vom übrigen Stadtgebiet durch das weitläufige Gelände der Hoechst-AG getrennt.

Die Farbwerke waren es auch, die im letzten Jahrhundert die ersten Evangelischen in das alte, am Main gelegene Fischerdorf brachten. Auf Kurmainzer Gebiet gelegen war das immerhin schon 1200 Jahre alte Sindlingen bis zur Industrialisierung rein katholisch. Inzwischen ist die Bevölkerung längst konfessionell gemischt, auch der Anteil der Nicht-Christen wächst, denn in den neueren Siedlungen leben überdurchschnittlich viele Familien ohne deutschen Pass.

Der starke Bevölkerungszuwachs hat 1972 zu einer Teilung der evangelischen Gemeinde geführt, in Sindlingen-Süd (unten im Dorf) und Sindlingen-Nord (oben, jenseits des Kreisels vor dem Tor West der Hoechst AG). Doch damit ist es jetzt vorbei: Unter dem Motto „Hand in Hand“ feierte die am 1. Juli fusionierte Gemeinde in diesem Jahr ihr Sommerfest. Und so gingen vormittags alle „runter“ ins Dorf, zum Festgottesdienst in der 1911 gebauten Sindlinger Kirche, nachmittags feierten sie „oben“ weiter, im Gemeindezentrum „Die Arche“. Ein allzu großes Problem ist das nicht – knapp zwei Kilometer Fußweg. Und der Kreisel, der ist zwar lästig, aber doch zu bewältigen.

Rückläufige Mitgliedszahlen und ein engerer Personalschlüssel haben den Zusammenschluss notwendig gemacht. Die Gemeinde hat ihn zwar nicht gerade mit Enthusiasmus, aber doch ohne größere Konflikte bewältigt. Ein wenig Sorgen bereitet den „Nordlern“ höchstens die Zukunft ihrer „Arche“. Der verwinkelte, gelb gestrichene Betonbau, in dem Kirchsaal, Kindergarten, Jugendräume und Pfarrhaus integriert sind, kann zukünftig nur erhalten werden, wenn die Gemeinde selbst Einnahmen für die Bauunterhaltung erzielt. Pfarrer Vorländer ist jedoch zuversichtlich, dass man den Standort erhalten kann. „Dies ist ein echter Kommunikationspunkt im Stadtteil, der erhalten bleiben muss“, betont er.

Überhaupt: Was das inhaltliche Profil angeht, gibt es kaum Kontroversen zwischen „unten“ und „oben“. In beiden Ortsteilen ist die offene Jugendarbeit, die auch von städtischer Seite mitfinanziert wird, ein wichtiges Standbein. Eng verwurzelt ist die Gemeinde auch im regen Sindlinger Vereinsleben.

Etwas genervt reagiert man in Sindlingen allerdings auf Fragen nach dem Attentat 1997 im Heiligabend-Gottesdienst – zu schlechte Erfahrungen hat man mit der Sensationsgier von Medien und Öffentlichkeit gemacht. In der diesjährigen Passionszeit wurde in der Kirche eine Gedenktafel angebracht, und natürlich sind die Wunden noch nicht geheilt. Aber die Sindlinger haben ein feines Gespür für den Unterschied zwischen echtem und geheucheltem Mitgefühl entwickelt. „Solche Erlebnisse“, sagt Kirchenvorsteherin Waltraud Niebling, „schweißen ganz schön zusammen“.

Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 1. September 2000 in der Rubrik Stadtkirche, erschienen in der Ausgabe .

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Dr. Antje Schrupp ist geschäftsführende Redakteurin von Evangelisches Frankfurt. Die Journalistin und Politikwissenschaftlerin bloggt auch unter www.antjeschrupp.com.