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Aktuell

Von – 1. April 2001

Kinder, Kopftuch, widerspenstige Männer

Viele Frauen aus orientalischen Ländern oder aus Osteuropa nehmen ihr Leben heute in die eigene Hand. Mit professioneller Unterstützung geht das oft leichter.

Frau S. ist vor sechs Jahren aus der Türkei nach Deutschland gekommen und lebt mit Mann und zwei Kindern in Frankfurt-Höchst. Sie ist Hausfrau und Mutter, doch so richtig füllt sie das nicht aus, sie spürt, es fehlt ihr etwas. Sie ist unzufrieden, isst zu viel, und manchmal fällt ihr zu Hause die Decke auf den Kopf. Sie denkt daran, sich Hilfe zu holen. Der erste Weg führt sie zum Arzt, der zweite zu einer Therapeutin, die ebenfalls nach Deutschland eingewandert ist. Hier findet Frau S. Mut, Ideen zu entwickeln, sich zu überlegen, welche Tätigkeiten sie ausfüllen könnten. Auch eine Berufstätigkeit zieht sie in Betracht.

Frau S. fühlt sich einerseits in einer traditionellen Rolle gefangen, die sie im Heimatland erlernt hat, andererseits möchte sie ein eigenständiges Leben leben. Sie erfährt von Frauenkursen für Migrantinnen, wie sie etwa die evangelische Familienbildung in Höchst in Kooperation mit einer Beratungsstelle der Arbeiterwohlfahrt anbietet. Hier, in einer Gruppe von Frauen in ähnlichen Situationen, entdeckt sie ihr Selbstvertrauen wieder und findet Mut, neue Entscheidungen zu treffen. Frau S. beschließt, im Anschluss an den Integrationskurs einen Kurs in Berufsvorbereitung zu belegen und sich dann auf dem Arbeitsmarkt umzuschauen. Das bringt natürlich auch viele Veränderungen im Familienalltag mit sich, doch unmöglich ist es nicht, wenn die Entscheidung einmal getroffen ist. Inzwischen hat Frau S. eine Lehrstelle als Arzthelferin gefunden und sagt: „Ich lebe total im Stress – aber es geht mir besser als je zuvor!“ Es war nicht leicht, aber sie hat es geschafft.

Wie Frau S. geht es vielen Migrantinnen, die im Rahmen der Familienzusammenführung oder als Teenager mit ihren Eltern nach Deutschland kommen. Sie haben einen Schulabschluss, aber meist keine Ausbildung. Wenn sie heiraten, bedeutet das erst einmal Hausfrauendasein und Isolation. Sie brauchen Unterstützung, sowohl beim Deutsch lernen als auch bei der Identitätsfindung in einer westeuropäischen Kultur. Integrationskurse sind eine gute Hilfe, erste Schritte hin zu einem eigenständigen Lebensentwurf zu gehen. Viele Frauen lassen sich nach einiger Zeit zum Besuch einer weiterführenden Schule motivieren oder nehmen eine Ausbildung auf.

Und die Männer? Machen sie mit? Den Erzählungen der Frauen nach zu urteilen, stehen sie zunehmend einer Berufstätigkeit ihrer Frau positiv gegenüber. Viele fühlen sich von ihrer Rolle als alleiniger Ernährer der Familie entlastet. Für Migrantinnen, die in Deutschland aufgewachsen sind, hat sich das Qualifikationsniveau wesentlich verbessert, sie haben gute berufliche Perspektiven, die wichtigste Voraussetzung für ein eigenständiges Leben.

Beiden Gruppen von Frauen, den zugezogenen und den hier aufgewachsenen, fehlen aber noch Treffpunkte und Räume, in denen sie ihre kulturelle Identität erleben können, besonders wenn sie dem orientalischen Kulturkreis angehören. Bildungs- und Kultureinrichtungen sind besonders aufgerufen, sich den Frauen zu öffnen – ebenso wie die oft eher von Männern dominierten Kulturvereine der Herkunftsländer.

Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 1. April 2001 in der Rubrik Lebenslagen, erschienen in der Ausgabe .

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