Hinweis

Diese Website wurde am 28. November 2017 archiviert. Neues Online-Angebot: Evangelische Kirche in Frankfurt.

Aktuell

Von – 1. September 2002

Wenn das Pflegen Kräfte raubt

Demenzkranke Angehörige zu Hause zu versorgen – das ist oft anstrengend und psychisch belastend. Beratung und Austausch mit Gleichgesinnten kann die Situation erleichtern.

Sie musste nicht lange überlegen. Als ihr Vater wegen seines Alters Betreuung brauchte, war Susanne K. zur Stelle. Sie konnte ihre Mutter mit der Pflege doch nicht alleine lassen! Um fast täglich für den Vater da sein zu können, ließ sich Susanne K. sogar von ihrer Arbeit beurlauben. Aber es ist kein leichtes Unterfangen. „Mein Vater beschwert sich über alles, er ist oft aggressiv“, erzählt sie. Selbst die Fliege an der Wand kann zu einem Wutausbruch führen. Geistig baut er immer weiter ab, will sich die Hilflosigkeit aber nicht eingestehen. Er ist noch gut zu Fuß – zum Glück. Doch sein Orientierungssinn ist nicht verlässlich. Wenn er allein aus dem Haus geht, folgt die Tochter ihm deshalb heimlich. „Das ist fast wie im Krimi“, sagt sie, kann aber doch nicht über die Kuriosität der Situation lachen. Sie hat ihr eigenes Leben zurückgestellt, um zu helfen, aber nun ist alles nur noch schwierig.

„Die Situation ähnelt zwei Booten“, sagt Elsbeth Streib, die als Psychologin von der Evangelischen Hauskrankenpflege pflegende Angehörige und Patienten in Frankfurt berät: „Das eine Boot steht für das Leben der Tochter, das andere für das des Vaters. Beide Boote kommen aufeinander zu und die Tochter steigt mit einem Bein in das Boot des Vaters ein, bleibt aber mit dem anderen im eigenen Boot.“ Die Pflege eines Elternteiles gleicht oft einem schwierigen Balanceakt, der viele zu zerreißen droht.

Wenn alternde Menschen unter Demenz leiden und sich psychisch verändern, dann können die Ehepartner das oft besser ertragen als die Kinder, hat Streib beobachtet, „sie nehmen die neue Situation eher hin – nach dem Motto: in gu­ ten wie in schlechten Tagen.“Aber auch für Ehepartner ist das Pflegen eine oft kaum zu bewältigende Anstrengung. Manchmal können sie wochenlang nicht richtig schlafen. Dazu kommt das Misstrauen. Dementen versagt oft das Kurzzeitgedächtnis, sie verstauen Gegenstände an sicheren Orten, was sie dann aber vergessen. Später suchen sie vergeblich und beschuldigen andere: „Das warst du, sonst war doch niemand in der Wohnung!“ Oder sie sagen stereotyp immer gleiche Sätze und versichern zugleich: „Ich bin ganz normal.“ Wenn sie ihre Unselbstständigkeit aber bemerken, hängen sie oft am Rockzipfel des Partners. Für Angehörige ein Leben ohne jedes Atemholen.

Was helfen kann: sich beraten zu lassen. „Am besten nicht erst dann, wenn man schon am Boden liegt“, empfiehlt Elsbeth Streib, sondern frühzeitig gemeinsam mit Profis nach Entlastungsmöglichkeiten suchen: ehrenamtliche Hilfe zum Beispiel, damit die Angehörigen das Haus auch mal für einige Stunden verlassen können. Manchmal kann eine Tagespflege richtig sein, oder auch die Pflege im Heim. „Und das hat dann überhaupt nichts mit Abschieben zu tun“, betont Streib.

Neue Luft können Angehörige auch in Gesprächskreisen atmen, in denen sie sich mit Menschen in ähnlichen Situationen austauschen. Den Weg in solch einen Gesprächskreis hat auch Susanne K. gefunden. Dort hat sie entdeckt, dass sie mit ihren Problemen nicht allein ist – und dass sie an der Situation mit ihrem Vater etwas ändern kann (Evangelische Hauskrankenpflege, Telefon 7508-7611).

Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 1. September 2002 in der Rubrik Lebenslagen, erschienen in der Ausgabe .

Artikel teilen: E-Mail Facebook Twitter Google+

Georg Magirius ist Theologe und Schriftsteller und Kolumnist bei "Evangelisches Frankfurt". Mehr unter www.georgmagirius.de.