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Von – 1. Februar 2003

„Niemand kann es alleine schaffen“

Viele Menschen können im Alter immer schlechter sehen – bis sie schließlich erblinden. Was sie brauchen ist der Mut, sich helfen zu lassen.

Häufig sind es kleine Dinge, die Elke Düring und Heli Krämer zu schaffen machen. „Können Sie mir die Wagennummer vorlesen?“ fragt Bahnfahrerin Düring beispielsweise. Und die Mitreisenden antworten: „Guck doch selber!“ Heli Krämer empfindet das tägliche Grüßen als brenzlig. „Sie sind aber hochnäsig!“ wird ihr zugerufen: „Können Sie nicht grüßen?“ Dabei ist sie alles andere als unhöflich, nur ist in den letzten Jahren ihre Sehkraft schwach geworden. Und auch bei Elke Düring hat sich die Augenkraft im Alter verschlechtert, nachdem sie zuvor schon sehr kurzsichtig war. Verflixte Kleinigkeiten des Alltags: die letzte, tiefe Stufe beim Ausstieg aus der U-Bahn, das Einschenken von Getränken, das Frühstück in Hotels, falls es als Büfett ausgebreitet ist.

Solche Alltagshürden sind Teil einer großen Aufgabe, die sich Menschen stellt, die im Alter erblinden, erklärt Hans-Georg Döring, Pfarrer und Leiter der evangelischen Blindenarbeit in Frankfurt. Die Aufgabe heißt: „Sich umzustellen.“ Die nachlassende Sehkraft, die die ohnehin vorhandenen Widrigkeiten des Alterns nochmals steigert, schmerzt besonders bei persönlichen Dingen. Wer den eigenen Bankauszug nicht mehr lesen kann, muss seine Geldangelegenheiten nunmehr zumindest einer Person offen legen. Die schleichende Erblindung wird deshalb oft bis zuletzt geleugnet. „Dann aber trifft die Erkenntnis eigener Hilflosigkeit viele mit einer Wucht, dass sie darüber fast zerbrechen.“ Viele wandern in die Isolation, die von Verwandten und Bekannten auch noch bestätigt wird: „Du kannst nichts mehr!“ Dabei besteht das Leben nicht nur aus kräftigem Augenlicht. Entscheidend jedoch, wenn es schwindet: sich helfen zu lassen. „Sich das einzugestehen, dass man Hilfe nötig hat, ist aber ein harter Kampf“, hat Döring beobachtet.

Es ist wichtig, die Späterblindenden mit ihren Wünschen zu respektieren – egal, wie intensiv sie diesen Kampf ausfechten. Bei der evangelischen Blindenarbeit wird daher niemandem Hilfe aufgedrängt. Es gibt vielmehr konkrete und nützliche Angebote wie zum Beispiel die Hörbücherei: Dort sind viele auf Kassette gesprochene Bücher ausleihbar, ebenso wie Zeitungen – darunter auch „Evangelisches Frankfurt“: Ein Anruf genügt (Telefon 5302 258). Der Pfarrer bietet aber auch Hausbesuche an, bei denen individuelle Gespräche möglich sind, andere wiederum kommen zu den monatlichen Blindentreffen, die es inzwischen schon seit 25 Jahren gibt. Dort wird stetig an einem gemeinsamen sozialen Netz geknüpft. Denn Späterblindete wissen oft besser als Sehende: „Niemand kann alles alleine schaffen.“

Davon sind auch Elke Düring und Heli Krämer überzeugt, die die Blindentreffen regelmäßig besuchen. Heli Krämer freut sich über die zahlreichen Tricks für den verflixten Alltag, die sie dort bekommt, zum Beispiel den mit der U-Bahn-Ausstiegstreppe: „Ich zeige dem Fahrer meinen Ausweis, dann hält er, bis ich sicher draußen bin.“ Elke Düring bedauert zwar, dass sie sich ständig helfen lassen muss, weiß aber, dass sie dabei nur gewinnen kann: Diesen Winter ist sie der deutschen Kälte in das sommerliche Afrika entflohen: „Ich muss mich zwar vom Flughafen an begleiten lassen, lebe dafür aber dann vier Monate in Namibia.“

Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 1. Februar 2003 in der Rubrik Lebenslagen, erschienen in der Ausgabe .

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Georg Magirius ist Theologe und Schriftsteller und Kolumnist bei "Evangelisches Frankfurt". Mehr unter www.georgmagirius.de.