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Aktuell

Von – 1. März 2003

Vertrag oder Vertrauen?

Der Regierung, den Kirchen, den Gewerkschaften und politischen Parteien vertrauen die Menschen immer weniger, von der wirtschaftlichen Entwicklung wird ebenfalls nicht sehr viel erhofft. Auch im Privaten schwindet angesichts hoher Scheidungsraten und zerbrochener Beziehungen das gegenseitige Vertrauen, und sogar das Selbstvertrauen ist oft angeschlagen. Vertrauen wird zu einer knappen Ressource.

Werner Schneider-Quindeau ist Pfarrer im evangelischen Zentrum für gesellschaftliche Verantwortung in Frankfurt. Foto: Oeser

Die Klage über diesen Vertrauensverlust ist groß. Für viele gesellschaftliche Bereiche soll der Mangel an Vertrauen durch vertragliche Regelungen ersetzt werden, die ein klares Geben und Nehmen kennen und die für die Vertragspartner Rechtsansprüche formulieren. Sei es beim Ehevertrag, beim Generationenvertrag, bei der Rentenversicherung oder beim Tarifvertrag – immer geht es um rechtsverbindliche Ansprüche und Verpflichtungen, denen sich die Partner wechselseitig unterwerfen. Durch Verträge sollen die Unsicherheiten aufgefangen werden, die mit jeder Beziehung verbunden sind. Haben wir nicht bei der letzten Wahl den falschen Politikern vertraut, die nun scheinbar ihr gegebenes Wort nicht halten? Wie kann ich mich vor Betrug und Täuschung schützen, wenn nicht durch verlässliche Verträge? Verträge sollen den Partner kontrollieren: Hält er, was er versprochen hat? Wer vertraut, geht Risiken ein, ist angewiesen auf den anderen und damit offen und verletzbar.

Aber wird nicht jeder Vertrag auf „Treu und Glauben“ geschlossen? Vertrauen gilt auch im Geschäftsleben als ein hohes Gut, das erworben, aber auch wieder verspielt werden kann. Die Börse zum Beispiel reagiert auf verlorenes Vertrauen eines Unternehmens ausgesprochen empfindlich. Nach den Pleiten von großen Firmen wie Enron, Worldcom und den Krisen anderer großer amerikanischer Unternehmen, die durch Habgier und Betrug der Manager herbeigeführt wurden und Tausende von Anlegern um ihre Alterssicherung gebracht haben, ist das Vertrauen in die wirtschaftliche Seriosität von Unternehmensleitungen tief beschädigt. Auch die besten Verträge mit den höchsten Sicherheitsgarantien stellen das Vertrauen in die Unternehmensführungen nicht ohne weiteres wieder her.

Die Wirksamkeit von abgeschlossenen Verträgen scheint im Krisenfall nicht viel wert zu sein. Trotz aller atomaren Abrüstungsregelungen wird heute wieder über den Einsatz von Atomwaffen ernsthaft nachgedacht. Nicht vertrauensbildende Maßnahmen wie der Kampf gegen den Hunger oder für eine soziale Entwicklung, die allen Menschen vielfältige Lebenschancen bietet, sondern die Drohung und Anwendung von Gewalt beherrschen die weltpolitische Szene. Misstrauen, Angst und Macht bilden den Nährboden für eine so genannte „Politik der Stärke“, die weder Vertrauen erzeugt noch zu vernünftigen vertraglichen Vereinbarungen zwischen den Völkern führt. Ohne gegenseitiges Vertrauen kann ein gemeinsames Leben unter den Völkern und unter den Einzelnen nicht gelingen. Stellt sich also die Frage, wo und wie Vertrauen in Politik, Wirtschaft und im Privaten wiedergewonnen werden kann.

Vertrauen kann nur gedeihen, wo Glaubwürdigkeit und Offenheit, Verbindlichkeit und Zuverlässigkeit bestehen. Verträge können vieles regeln, aber sie können das Vertrauen nicht ersetzen. Im Gegenteil: der Geist der Verträge ist das in sie gesetzte Vertrauen. Ein Ehevertrag enthält zwar die rechtlichen Vereinbarungen wie zum Beispiel gegenseitige Versorgungsansprüche, aber die Voraussetzung, die diesem Vertrag zugrunde liegt, kann nur in der Zuwendung zum Anderen zur Sprache kommen. Während der Vertrag auf die gegenseitigen Rechtsverpflichtungen achtet, wird das Vertrauen einseitig zugesprochen. Für den zivilen Umgang – damit wir uns untereinander vertragen – gibt es Verträge, für stabilen Halt und Geborgenheit bedarf es des Vertrauens. Christliche Gemeinde könnte auf Grund ihres Zutrauens zu Gott ein Ort sein, an dem Menschen Vertrauen erfahren, gerade dann, wenn ihr Vertrauen enttäuscht worden ist, und auf diese Weise zu einem neuem Vertrauen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft beitragen.

Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 1. März 2003 in der Rubrik Gott & Glauben, erschienen in der Ausgabe .

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Werner Schneider-Quindeau ist Pfarrer für Stadtkirchenarbeit an der Katharinenkirche in Frankfurt.