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Aktuell

Von – 1. Juni 2003

Einander näher gekommen

Zum ersten Mal gibt es in diesem Jahr in Berlin einen Kirchentag, der ökumenisch ist, also von der evangelischen und katholischen Kirche gemeinsam veranstaltet wird. Aus diesem Anlass hat „Evangelisches Frankfurt“ den katholischen Stadtdekan Raban Tilmann um einen Gastbeitrag gebeten.

Die Ökumene der Kirchengemeinden ist seit vierzig Jahren aufgeblüht. Überall sieht man offene Konfessionsgrenzen, persönliche Bekanntschaften, immer wieder gemeinsame „Unternehmungen. Ob in Eschersheim oder Bornheim, Sachsenhausen oder Schwanheim, Nied oder Höchst. In vielen Stadtteilen gibt es Predigertausch, Einladungen zu Gemeindefesten, gemeinsame Ausflüge und persönliche Bekanntschaften. Der Vorteil der Gemeindeökumene ist, dass sie vor Ort verankert ist, unterhalb des kirchenrechtlich normierten Bereiches. In den Gemeinden haben sich in den letzten Jahren viele katholische Christen „ihr eigenes Gewissen gemacht“, ob man das begrüßt oder bedauert, und behandeln ihre Konfessionszugehörigkeit sozusagen nach Angebot und Nachfrage.

Die Ökumene der Theologen ist diskussionsfreudig und viel komplizierter. Nicht nur ist der katholisch-lutherische Dialog weit vorangekommen, es gibt auch den Dialog mit der anglikanischen Gemeinschaft, mit Baptisten und Methodisten, mit den Pfingstlern und den Orthodoxen. Mit Geduld und Ehrlichkeit müssen hier Spalterthemen aus 450 Jahren Trennungsgeschichte aufgearbeitet werden. Verschiedenheiten zwischen den christlichen Kirchen sind noch immer vorhanden und werden auch bestehen bleiben, aber sie müssen keine kirchentrennende Wirkung mehr entfalten. Dem Kirchenvolk entzieht sich diese Fachdiskussion weithin. Es ist aber wichtig zu wissen, dass es sie gibt.

Die Ökumene der Kirchenleitungen spielt sich im Licht der Öffentlichkeit ab und wird in den Medien berichtet. Darum gibt es hier immer wieder Aufregerthemen, die aktuell plötzlich auftauchen und alles Gewonnene wieder in Frage zu stellen scheinen. Ökumenisch wohlwollende Menschen müssen eine gewisse Strapazierfähigkeit mitbringen. In der letzten Zeit war manchmal von Rückschlägen für die Ökumene die Rede. Ich sehe das anders. Wenn man einander näher gekommen ist, wird auch die nicht überwindbare Eigenart des ökumenischen Partners deutlicher, manchmal schmerzhaft.

Es ist sinnlos zu wünschen, der Partner solle doch bitte so sein wie ich. Das ist er nicht. Die Wahrung und Verdeutlichung der eigenen Identität im ökumenischen Dialog ist besonders für die römisch-katholische Weltkirche ein Bedürfnis und eine Notwendigkeit. Die als unangenehm und störend empfundenen Interventionen kommen in der katholischen Kirche immer aus Rom, vom Papst. So zum Beispiel die Erklärung „Dominus Jesus“ über das Selbstverständnis der katholischen Kirche und die neue Enzyklika über den unlöslichen Zusammenhang von Abendmahl und Kirche nach katholischem Verständnis. Für kundige Ökumeniker waren das alles keine Neuigkeiten. Die Verdeutlichung der eigenen Identität wurde in der Öffentlichkeit aber verstanden als Abwertung der evangelischen Kirchen, ihrer Ämter und ihres Abendmahles. Und das tut weh. Doch ist es wie in einer gut gewachsenen Partnerschaft: niemals werde ich es dem Partner übel nehmen, dass er mir sagt, wer er ist und sein will. Und immer werde ich mich hüten, ihn für mein Selbstverständnis vereinnahmen zu wollen. So treten Beziehungsprobleme auf, gerade weil wir einander näher gekommen sind.

Für den ökumenischen Kirchentag in Berlin hat sich die Lage nach meiner Auffassung nicht verändert, auch nicht in der Abendmahlsfrage. Die evangelische Kirche wird im Auftrag Jesu jeden Getauften zu ihrem Abendmahl einladen. Der Papst sagt, Katholiken sollten dieser Einladung nicht folgen. Ob sich die Katholiken daran halten, werden sie gewissenhaft selbst entscheiden. Die katholische Kirche sieht sich wegen bleibender Differenzen im Kirchenverständnis und in der Ämterfrage nicht in der Lage, evangelische Christen öffentlich und allgemein zur katholischen Eucharistiefeier einzuladen. Andererseits wird kein evangelischer Christ bei der Austeilung der Kommunion gemeindeöffentlich zurückgewiesen. Und die innerkirchlichen Reform- und Protestgruppen werden diese Regelung öffentlich kritisieren und durch abweichende Praxis unterlaufen.

Ich werbe für den langen Atem in der ökumenischen Verständigung. Was 450 Jahre lang zu- nächst kriegerisch und später systematisch zerrissen und getrennt wurde, braucht Zeit, um zusammenzuwachsen. Evangelische und katholische Christen schulden das Zeugnis des Glaubens gemeinsam einer Stadt Frankfurt, die nur noch zu 49 Prozent christlich ist.

Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 1. Juni 2003 in der Rubrik Gott & Glauben, erschienen in der Ausgabe .

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