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Aktuell

Von – 1. Juni 2003

Immer mehr Stress auf der Arbeit

Lange Arbeitszeiten, hohe Flexibilität und wachsende berufliche Anforderungen setzen viele Menschen unter Druck – und oft gibt es dann auch noch Streit in der Beziehung.

Eigentlich war der Mann wegen seiner Beziehungsprobleme in die Beratung gekommen. Seine Freundin hatte ihn verlassen – aber ansonsten schien es dem Dreißigjährigen ganz gut zu gehen: Er war eloquent im Auftreten, gut aussehend, intelligent und mit besten Karriereaussichten als junger Assistenzarzt. Doch im Gespräch stellte sich heraus, dass er viel grundlegendere Probleme hatte als eine gescheiterte Liebe: „Er bekam nicht genügend Schlaf, konnte nicht mehr essen, kam kaum an die frische Luft“, erzählt Brigitte Meckler von der psychologischen Beratungsstelle des Evangelischen Regionalverbandes, „er war total am Ende.“ Die unmenschlichen Marathonschichten im Krankenhaus ließen ihm keine Zeit, zur Ruhe zu kommen oder auch nur seine körperlichen Grundbedürfnisse zu befriedigen.

Vielleicht ist das ein Extremfall, aber zunehmender Stress auf der Arbeit und die daraus folgenden privaten Probleme sind immer häufiger Thema in der Beratungsstelle, sagt Meckler. „Das ist ja auch kein Wunder: Es gibt immer mehr Arbeit, und die wird gleichzeitig auf immer weniger Schultern verteilt“. Das bringt nicht nur diejenigen in Schwierigkeiten, die arbeitslos werden, sondern auch die, die Arbeit haben: „Viele sehen die wachsende Belastung als individuelles Problem“, hat Meckler beobachtet, „und sie möchten nicht gerne darüber reden, denn das wäre ja so, als würden sie zugeben, nicht belastbar genug zu sein.“ So war es auch bei dem jungen Arzt – zum zweiten Beratungstermin kam er nicht mehr.

Meckler kann das sogar verstehen, denn anders als bei psychischen oder mentalen Problemen ist die Situation oft tatsächlich fast ausweglos. Wie etwa bei dem Mitarbeiter einer Beraterfirma, der von einem Tag auf den anderen von Frankfurt nach Berlin versetzt wurde. Wogegen seine Frau rebellierte. Denn die hatte die eigene Karriere für die Familie aufgegeben, zwei kleine Kinder waren da. Ihm zuliebe hatte sie alle Zelte abgebrochen und war nach Frankfurt gezogen, konnte mit Mühe Kindergartenplätze ergattern, neue Freundschaften knüpfen. Das Familienleben kochte auf Sparflamme, denn der Vater kam abends nur selten vor neun Uhr aus dem Büro. Und jetzt schon wieder ein Umzug? Das kam für sie nicht in Frage. Doch in seiner Firma war eine solche Weigerung kaum durchzusetzen: Flexibilität ist schließlich das Motto der Zeit, und wer nicht spurt, kann problemlos ersetzt werden.

Was kann man Menschen in einer solchen Situation raten? „Wichtig ist es, rechtzeitig miteinander zu verhandeln, bevor man berufliche Entscheidungen trifft, sich vorher klar zu machen, was in diesem Berufsfeld auf einen zukommt“, glaubt Meckler. Auch die Partnerinnen und Partner in die Entscheidung mit einzubeziehen. Denn ein Verzicht auf die nächste Karrierestufe bedeutet ja meist auch Verzicht auf Einkommen – und das betrifft dann ebenfalls die ganze Familie. Je bewusster man sich selbst und der Familie die Lage im Vorfeld klar gemacht hat, desto besser ist man auf die Konsequenzen vorbereitet, glaubt Meckler, und die Chancen stehen besser, den Weg dann auch gemeinsam zu gehen. Dabei kann es helfen, rechtzeitig professionelle Beratung in Anspruch zu nehmen – und nicht erst dann, wenn die Situation schon völlig verfahren ist.

Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 1. Juni 2003 in der Rubrik Lebenslagen, erschienen in der Ausgabe .

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Dr. Antje Schrupp ist geschäftsführende Redakteurin von Evangelisches Frankfurt. Die Journalistin und Politikwissenschaftlerin bloggt auch unter www.antjeschrupp.com.